Direkt zum Inhalt

Eduard M. Singer, Leiter der Stabsstelle Stadtmarketing der Stadt Frankfurt am Main 

Eduard M. Singer

© Stadt Frankfurt

Man hört die Regentropfen auf die Schirme fallen, ich sehe kurz aus dem Fenster meines Büros in der Beethovenstraße und beobachte die Fußgänger beim betriebsamen Laufen auf dem unebenen Trottoir. Ich schließe das Fenster und setze mich wieder zurück an meinen Schreibtisch. Es ist Wochenanfang, vor mir liegen knapp 400 Begrüßungsbriefe, die unterzeichnet werden wollen. Die Briefe sind individuell geschrieben, aufs Gastland ausgerichtet und natürlich auf den Gast.

Es ist Buchmessewoche in Frankfurt und all die erwarteten Gäste sind besonders. Viele von ihnen sind uns vertraut, da sie seit Jahrzehnten unsere Stammgäste sind. Die meisten sind Verleger*innen, aber auch Agenten sind dabei, viele aus Großbritannien, aber auch aus Südamerika und natürlich aus Deutschland. Eine besondere Messe für Frankfurt, aber insbesondere für ein ehrwürdiges Luxushotel. Die Mitarbeiter*innen sind mit den Abläufen vertraut, die Erwartungen der Gäste bis aufs Detail hinterlegt, dasselbe Zimmer, weitere Kopfkissen, zehn Kleiderbügel mehr, einen zweiten Schreibtisch oder ein Zimmer, das ohne Aufzug zu erreichen ist. Ganz selbstverständlich wird dies ermöglicht. Die zwischenzeitlich unterschriebenen Begrüßungsbriefe werden zusammen mit den Treatments und einem extra gefertigten Lesezeichen auf den Zimmern platziert.

Die Lobby als magischer Ort

Die Messe beginnt immer am Mittwoch, die Gäste reisen jedoch schon am Montag an. Die Lobby ist bereits gut gefüllt. Unüblich, dass aktuell in der Lobby viel Platz ist, da sie mit vielen kleinen Tischen und Stühlen drapiert ist. Eng, unübersichtlich, es scheint wie ein Ameisenhaufen. Die Wahrnehmung trügt, die Gäste gehen gezielt aufeinander zu, sie kennen sich, führen lange Gespräche, ziehen sich dann zurück oder verabreden sich zum Lunch oder Dinner. Das Hotel ist von einer besonderen Magie erfüllt, von besonderen Menschen, achtsam, höflich und stilvoll gekleidet. Lobby, Wintergarten, Restaurant und viele Empfänge begleiten uns die ganze Woche.

Ab dem offiziellen Start ist der Rhythmus ein anderer. Die Lobby ist leer und das Wuselige beginnt erst ab 18.00 Uhr wieder. Vor dem Hotel herrscht reges Treiben, unaufgeregt warten Gäste auf ihr Taxi, die Friedrich-Ebert-Anlage rund um die Messe ist dicht befahren, es staut sich, Hupkonzerte sind zu hören. 

Mit Harry Rowohlt durch die Nacht

Am Freitag gegen Mitternacht wird das Ende der Buchmesse eingeläutet, sehr oft mit Harry Rowohlt, eine stets besondere Begegnung. Den Ausklang bildet ein Aufatmen und Durchschnaufen im Kollegenkreis um 2.00 Uhr nachts, ein paar Worte des Dankes erfüllen den Raum und das gemeinsame Anstoßen auf eine erfolgreiche Buchmesse ist ebenfalls ein liebgewonnenes Ritual.

Samstag und Sonntag sind Besuchertage der Buchmesse. Meine Mutter Hilda reiste extra aus Nürnberg an und unsere Familie besuchte am Sonntag gemeinsam die Buchmesse. Die Kinder fragten aufgeregt: „Wo gehen wir hin, was ist die Buchmesse?“ Und Mama antwortete überzeugend: „Es ist ein ganz großer Buchladen.“

Noch ein denkwürdiger Satz – von Paul Coehlo. Er war Gast der Buchmesse 2016 und hinterließ mir, signiert, ein Exemplar seines Romans „Untreue“. Später las ich hier: „Ich könnte ohne dich nicht leben, sagte er, als er an seinen Platz am Tisch zurückkehrt.“ Vielleicht ist es genau so, die Buchmesse und Frankfurt sind eine Liaison, für ewig und eng miteinander verbunden, beide sind sich über 75 Jahre nicht untreu geworden, leben (eher) eine andauernde und tiefe Liebesbeziehung.

 

Eduard M. Singer war von 2009 bis 2019 Generaldirektor und Geschäftsführer des Frankfurter Luxushotels „Hessischer Hof“.