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Autorin Lisa Weeda präsentiert ihr neues Buch "Aleksandra"

© Frankfurter Buchmesse / Ines Bachor

Vier Fragen an Lisa Weeda bei Books at Berlinale 2023 

Die Ostukraine steht im Mittelpunkt von Lisa Weedas Debütroman „Aleksandra“, der in Deutschland am Jahrestag des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine veröffentlicht wurde. Die bewegende, magisch-realistische Geschichte der niederländisch-ukrainischen Drehbuchautorin und Virtual-Reality-Regisseurin hat die Leser*innen in den Niederlanden bereits in ihren Bann gezogen: Das Buch schaffte es auf Platz 1 der Bestsellerliste, wurde zum besten niederländischen Debütroman 2022 gekürt und in zahlreiche Sprachen übersetzt. 

Aleksandra ist der Name von Lisa Weedas Großmutter. Im autobiografischen Roman reist die Enkelin und Erzählerin Lisa nach Luhansk, zum Geburtsort Aleksandras, die 1942 aus der Ukraine deportiert wurde. Lisa landet plötzlich in der Vergangenheit: im magischen Palast des verlorenen Donkosaken, in dessen unzähligen Räumen sich ein packendes Jahrhundertpanorama entfaltet, das nicht nur Lisas Familiengeschichte lebendig werden lässt, sondern auch die Historie der ganzen Region, die nie zur Ruhe zu kommen scheint. 

Bei „Books at Berlinale", einer Veranstaltung der Frankfurter Buchmesse in Kooperation mit dem Berlinale Co-Production Market, werden ausgewählte Neuerscheinungen und Bestseller, die sich gut zur Verfilmung eignen, einem Publikum aus Produzent*innen und Filmschaffenden vorgestellt. Einer dieser Titel bei Books at Berlinale 2023 war Lisa Weedas Roman. Wir haben die Autorin bei der Veranstaltung getroffen. 

 

Wie war Books at Berlinale für dich? 
Es war wirklich toll. Die Moderation der Veranstaltung und die Atmosphäre haben mir gut gefallen. Als Virtual-Reality-Regisseurin stand ich bereits selbst bei Pitches von deutschen Filmfestivals auf der Bühne – ich liebe das! Für Books at Berlinale habe ich mich zusammen mit Uta [Matten] von [der niederländischen Agentur] De Bezige Bij gut vorbereitet. Es war toll, sie gemeinsam mit ihr hier dabei zu sein. Die Art und Weise, wie die Bücher präsentiert wurden, war so integer, und alle Beteiligten hatten so viel Spaß daran, über die Bücher, die sie vorgestellt haben, zu sprechen. Das Event war sehr professionell, aber auch warmherzig und lebendig – was aus meiner Sicht wichtig ist, denn es geht immer noch um Kunst! 

 

Du bist selbst Drehbuchautorin und Virtual Reality-Regisseurin und hast bereits mit verschiedenen Medien- und Kunstformen gearbeitet. Hat dies auch deine Art, das Buch zu schreiben, beeinflusst?  
Ja, sehr sogar. Ich habe acht Jahre lang an dem Buch gearbeitet. Am Anfang war es ein chronologischer Roman mit vielen Sachbuch-Elementen. 2020 habe ich diese Elemente alle herausgenommen, weil es einfach nicht funktioniert hat. Es wäre ein schönes Buch geworden, aber manchmal hat man ein Bauchgefühl, und ich hatte das Gefühl, dass es nicht fesselnd genug war.  

Zu der Zeit recherchierte ich zu dem Palast, der jetzt eine große Rolle im Roman spielt. Der Palast sollte zu Stalins Zeiten tatsächlich gebaut werden. Er wollte in den 1930er Jahren das größte Gebäude der Welt erschaffen. Ich habe recherchiert, jedes Buch darüber gelesen, mir Blaupausen und Propagandapostkarten mit dem Palast darauf angesehen – wirklich beeindruckend. Der Palast an sich hat jedoch als Handlungsstrang nicht funktioniert, also habe ich eine komplette Storyline dazu verfasst.  

Zur selben Zeit habe ich an einem Virtual-Reality-Stück namens ROZSYPNE gearbeitet: Es handelt von einem kleinen Dorf in der Ostukraine, im Donbass. Man folgt einer älteren Dame, Nina, die versucht, einfach ihr Leben zu leben, auch als der Krieg im Donbass beginnt. Im Sommer 2014 stürzt in Rozsypne das Flugzeug MH17 ab. Nina gehört zu den Menschen, die mit Markierungsstäben und -bändern in die Weizen- und Sonnenblumenfelder gehen, um die Gegenstände, die aus dem Flugzeug gefallen sind, zu markieren. Viele Menschen im Donbass mussten dies tun, weil die Separatisten die OECD nicht in die Region gelassen haben.  

Ich liebe die Art und Weise, wie sich ein Körper in bei Virtual-Reality-Projekten physisch durch den Raum bewegen kann; man ist mit seinem eigenen Körper involviert, was die Sache viel sinnlicher und emotionaler macht. Man kann Nina durch das Sonnenblumenfeld folgen und einen Koffer und ein kleines Stoff-Äffchen sehen, das tatsächlich aus dem Flugzeug fiel. Ich finde es toll, dass man sich auf eine ganz andere Art und Weise durch Zeit und Raum bewegen kann, ohne die Hand der Person in der Geschichte loszulassen.  

Und genau das ist es, was ich mit meinem Buch versuche. Man betritt diesen großartigen Fantasiepalast, der auf einem tatsächlichen Palast basiert, der nie gebaut wurde, und wandelt auf nicht-chronologische Art und Weise durch unsere Familiengeschichte. Das hat mir die Augen geöffnet. 

Im Winter 2020 habe ich die gesamte Handlung geändert. Ich habe jede Familienanekdote, die zunächst chronologisch angeordnet war, in diesen Palast eingebaut. Das war großartig und hat total viel Spaß gemacht – und das Buch viel lebendiger gemacht! Einige holländische Leser sagten: "Es ist wirklich seltsam zu lesen, ich weiß nicht, wo ich bin", und sie wollten unbedingt an dieser klassischen Idee einer chronologischen Handlung festhalten, aber ich liebe es, gegen diese Idee zu arbeiten. Ich finde, das funktioniert gut. Jede Szene hat das gleiche Thema – das Leiden einer Familie – aber zu unterschiedlichen Zeitpunkten. Die Geschichte wiederholt sich – für mich ist das das wichtigste Thema des Buches. 

 

Du hast acht Jahre für das Buch recherchiert und dabei auch viel Bildmaterial gesichtet. Was macht das Buch aus deiner Sicht besonders geeignet für das Medium Film? Und welche Chancen und Herausforderungen siehst du in Hinblick auf eine Film- oder Serienadaption von „Aleksandra“? 
Ich habe viel darüber nachgedacht. In meiner Vorstellung war es eigentlich immer ein Virtual-Reality-Erlebnis. Dieses Buch könnte man leicht in ein VR-Projekt verwandeln. Das wäre jedoch ziemlich teuer, auch weil ein VR-Erlebnis meist nur für eine einzelne Person zu einem Zeitpunkt erlebbar ist.  

Ich habe sehr viel Bildrecherche betrieben. Irgendwann hatte ich ca. 3.000 Bilder aus den verschiedenen Epochen, die in dem Buch vorkommen, auf meinem Computer. Ich beginne gerne mit visuellen Dingen, bevor ich schreibe: Ich schaue mir Fotos an und versuche, mir ein Bild von der Situation zu machen, davon, wie bestimmte Zeiten, bestimmte Epochen aussehen. Ich lese auch eine Menge Bücher. In „Aleksandra“ habe ich versucht, eine starke Ebene für die Teile der Familiengeschichte zu schaffen, die ich hatte. Das Buch basiert auf der tatsächlichen Familiengeschichte, aber vieles davon habe ich selbst geschrieben, basierend auf der Recherche. 

Alle Szenen sind sehr bildgewaltig/filmisch. Es gibt ein paar Dialoge, aber der Schwerpunkt liegt auf Bildern und darauf, wie sich die Menschen bewegen. Ich liebe es, Filme zu sehen, und ich liebe es, wenn man durch die Art, wie Menschen sich bewegen, oder durch das, was ihnen passiert, sehen kann, wie es ihnen geht und welche Ziele sie verfolgen. Ich liebe die Spannung in Filmszenen. Einer meiner Lieblingsfilme über den Donbass ist der Film "Donbass", der auf journalistischen Beiträgen basiert. Man kann die Hilflosigkeit spüren, und es gibt viele Standbilder, die man einfach betrachtet – dies habe ich auch mit dem Buch versucht, und ich denke, es funktioniert. Ich denke, dass es sich sehr gut als Grundlage für einen Film eignen würde, weil bereits so viele Bilder vorhanden sind und umfangreiche Recherche betrieben wurde. Sie brauchen mich nur anzurufen, und ich kann ihnen ganze Ordner voller Bilder schicken.  

Die größte Herausforderung wird sein: Wie viele Handlungsstränge wird es geben und wie viele Familienmitglieder werden porträtiert – das sind nämlich eine ganze Menge. 

 

Und wie schafft man es, das Publikum auf eine coole Art und Weise durch die Geschichte zu führen? Vielleicht aufgebaut wie ein Spiel?
Ich denke, das wäre spannend. Und natürlich der Palast – ich würde ihn gerne auf der Leinwand sehen!  

Ich finde, das Buch hat so viele visuell starke Elemente, auch weil Lisa ein besticktes Tuch ihrer Ururgroßmutter mitbringt, das ihre Familiengeschichte aufzeigt. Das könnte ein so schönes visuelles Element sein – auch in Hinblick auf die Farben im Film. Es ist auch eine sehr emotionale Geschichte. Ich glaube, das wäre wirklich gut für die Leinwand, aber nicht einfach umzusetzen. Es wäre wohl ein ziemlich teures Projekt. 

 

Dein Buch ist autobiografisch, deine Familienmitglieder und -geschichte stehen im Mittelpunkt. Kommen dir bestimmte Schauspieler*innen in den Sinn, die sich aus deiner Sicht besonders gut für eine Verfilmung des Romans eignen würden? 
Ich habe gerade die Serie "Kleo" gesehen. Wenn die Schauspielerin [Jella Haase], die Kleo spielt, Lisa spielen würde, fände ich das toll. Aber für die weitere Rollenbesetzung würde ich sehr gerne mit ukrainischen und russisch-ukrainischen Schauspieler*innen arbeiten, denn manchmal sieht man in Filmen Leute, die die [ukrainische] Sprache eigentlich nicht beherrschen und sie trotzdem sprechen, und das ist schrecklich. Ein ukrainisch geprägtes Filmprojekt fände ich toll. Bei all meinen anderen Projekten habe ich mit Ukrainier*innen zusammengearbeitet. Sie haben alles geprüft: ob die Sprache korrekt ist, ob einige Redewendungen stimmen, etc. – dasselbe habe ich mit diesem Buch gemacht. Es wäre toll, mit einem authentischen ukrainischen Team zu arbeiten, das wäre für mich das Wichtigste.   

Einer meiner Lieblingsfilme ist ein alter Film aus den 70er Jahren über den Zweiten Weltkrieg in Belarus. Das wäre toll, wenn der Film zu „Aleksandra“ so aussehen könnte – ein bisschen blutig und schwer, aber gleichzeitig gibt er Raum für etwas Magisches. 

 

 Vielen Dank für das Gespräch, Lisa! 

 

Das Gespräch führte Ines Bachor, PR Managerin bei der Frankfurter Buchmesse.