„Ich hoffe, Victor ist eine Figur, die über Identitätskategorien hinauswirkt – weil sie menschlich ist."

© Albino Verlag; FBM
Der philippinische Autor Blaise Campo Gacoscos wurde 1968 in Candon, Ilocos Sur, geboren. Sein Coming-of-Age Roman “Der Junge aus Ilocos” (2025, Albino Verlag, übersetzt von Andreas Diesel; Originaltitel: “Kites in the Night”, 2022, Ateneo de Manila University Press) spielt auf den Philippinen und zieht Leser*innen in die emotionale Welt von Viktor hinein, der zwischen Tradition und Transformation aufwächst. Der Roman ist eine deutsche Neuerscheinung des FBM-Gastlands 2025, den Philippinen. Im Interview spricht Blaise mit uns darüber, seine Stimme in queerer Literatur zu finden und spicy intimacy-Szenen the “British way” zu erzählen.
Blaise, wenn du Der Junge aus Ilocos in nur einem Satz beschreiben müsstest – etwas, das die Leute dazu bringt, es lesen zu wollen –, was würdest du sagen?
Einzigartig würde ich sagen. Denn wenn du noch nie ein philippinisches Buch oder Literatur aus den Philippinen gelesen oder davon gehört hast und nichts über die dortige Kultur weißt: Dann musst du das Buch lesen. Es ist ein philippinisches Buch, weil es auch dort spielt.
Dein Roman zeichnet ein so lebendiges Bild vom ländlichen Leben und den familiären Bindungen in Ilocos. Was hat dich dazu bewegt, Victors Geschichte in diesem speziellen Umfeld zu erzählen?
Das Buch basiert auf meinem Leben. Überall im Roman finden sich Fragmente meines Lebens wieder. Natürlich ist es dadurch für mich einfacher, etwas in meiner Heimatstadt Ilocos zu beschreiben. Ich hatte vor, eine Coming-of-Age-Geschichte zu schreiben. Und ich wüsste nicht, wie ich eine Geschichte über einen anderen Ort schreiben kann. Ich bin nun mal dort geboren auf aufgewachsen, also kenne ich den Ort quasi auswendig – ich weiß alles darüber! Vielleicht ist es zum Teil also also auch aus Bequemlichkeit? Wie dem auch sei: Es muss einfach mein Geburtsort Ilocos sein.
Eines der bewegendsten Elemente ist die Art und Weise, wie Du Victors Gefühlswelt darstellst. Wie war deine Herangehensweise, über junge und auch queere Intimität zu schreiben, ohne dabei zu explizit zu werden?
All das ist in dem Roman eher unterschwellig und subtil beschrieben – vor allem in den Details und Dialogen. Es liegt an den Lesern, daraus zu entnehmen, was sie sehen möchten. Man muss es so erzählen, dass man nicht zu weit geht. Und genau die richtige Menge an Details haben. Ich habe mich zurückgehalten und mich beherrscht. Selbst bei den Dialogen und allem anderen ging es mir um Kontrolle. Dabei muss man als Autor lernen, wie man redigiert und dabei nicht zu viel ins Detail geht, also sage ich “auf britische Art und Weise redigieren”.
Welche Rolle spielt Deiner Meinung nach queere Literatur heute, insbesondere in Südostasien, und wie hoffst du, dass dein Buch zu diesem Bereich beiträgt?
Jedes Buch über queere Literatur ist wichtig. Die LGTBQ+ Community wurde und wird immer noch marginalisiert– also müssen wir sprechen und unsere Stimme erheben! Diese Stimme wird in vielen verschiedenen Ländern Südostasiens laut, was gut ist. Wir müssen uns zusammenschließen, um unsere Geschichten zu erzählen. In meinem Fall erzähle ich diese Geschichte als Literatur. Es geht darum, gehört zu werden. Gleichzeitig sehe ich mein Buch nicht nur als queere Literatur, sondern als Literatur. Ich hoffe, Victor ist eine Figur, die über Identitätskategorien hinauswirkt – weil sie menschlich ist. Und ich glaube, ich habe das Leben von Victor vermenschlicht. So wird er für so viele Menschen sympathisch und nachvollziehbar, und ich denke, das ist ein guter Anfang.
Deine Kapitel lesen sich fast wie in sich geschlossene Kurzgeschichten. War das eine bewusste strukturelle Entscheidung – und wenn ja, was Wolltest du mit diesem Format erreichen?
Ja, am Anfang wollte ich eine Sammlung von Kurzgeschichten schreiben. Aber mein Mentor sagte mir, dass dies ein Roman sein könnte und dass ich die Kurzgeschichten verwenden und sie als einen Roman umschreiben könnte. Das war anfangs ziemlich schwierig, weil alles bereits als Sammlung von Kurzgeschichten geplant war und ich alles ändern musste. Zum Beispiel wurden alle Hauptfiguren, die Frauen waren, zu Victors Sichtweise. Und ich hatte Bedenken, dass das nicht möglich ist. Aber mein Mentor sagte man braucht nur eine Figur, die von einem Kapitel zum nächsten weiterlebt. Der gesamte Schreibprozess hat mehr oder weniger 10 Jahre gedauert. Und Schreiben ist ein Prozess – es bedeutet schreiben und umschreiben und weiterschreiben.
Das hat mich bewegt: Da war dieser Lehrer aus Ilocos - er erzählte mir, dass er in eine Buchhandlung gegangen ist und dort mein Buch für den Pride Month gekauft hatte. Er sagte, es habe ihn zu seiner eigenen Literatur geführt. Das war besonders für mich. Vielleicht ist das genau das, was ich mir wünsche: dass philippinische Literatur anderen hilft, ihre eigene Stimme zu finden. Es gibt philippinische Literatur, und wenn Sie Filipino sind, lesen Sie bitte philippinische Literatur. Und für alle anderen gilt dasselbe.
Blaise, vielen Dank für das Interview!
Das Interview führten Tim Beisswenger und Lea Nordmann. Außerdem wurden die Interviewfragen zusammen mit Marlon Brand @booksaregayasfuck ausgearbeitet.