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© privat

Interview mit Florian Valerius über das "Winter Institute" der ABA

Jedes Jahr treffen sich Hunderte US-Buchhändler zum "Winter Institute" der American Booksellers Association (ABA), dieses Mal war es in Baltimore. Florian Valerius, Buchhändler aus Trier, konnte dank eines Stipendiums an der begehrten Veranstaltung teilnehmen. Im Gespräch mit boersenblatt.net(Öffnet neues Fenster) schildert er seine Eindrücke.

   

Sie haben als Stipendiat der Frankfurter Buchmesse und mehrerer Verlage am Winter Institute der ABA teilgenommen. Wer kommt zu diesem Branchentreffen?
Dieses Jahr waren dort rund 800 amerikanische Buchhändler*innen – und es werden jedes Jahr mehr. Alle anwesenden Buchhändler*innen arbeiten ausschließlich in den sogenannten Independent Bookstores. Dazu kamen unzählige (Indie-)Verlegerinnen, Verlagsmitarbeiter, Menschen, die für die American Booksellers Association arbeiten, verschiedene Firmen, die Dienste für Buchhandlungen anbieten und natürlich auch viele Autorinnen und Autoren. Hinzu kamen noch die internationalen Gäste, davon viele aus Großbritannien, den Niederlanden, Belgien, Frankreich und sogar aus Venezuela.
 
Wie war die Stimmung?
Die Stimmung war einfach gigantisch. Das Feeling lag irgendwo zwischen Klassentreffen, Buchmesse und Motivationsseminar. Tagsüber gab es Keynote Speaker und Panels zu allen möglichen Themen des Buchhandels, dazu Town Hall Meetings und Face-to-face-Appointments. Die Stunden flogen nur so an mir vorbei. Ab 17 Uhr wurde der gemütlichere Teil eingeläutet. Meist wurde zum Weinempfang der großen Verlage geladen, Glück hatte, wer danach zu einem der berühmten Dinner-Dates eingeladen war. Eine große Ehre – ich durfte dem Dinner von Europa Editions, zusammen mit Verleger Michael Reynolds und den Autoren Ian Williams und Philippe Lancon, beiwohnen. Danach wurde in ausgewählten Bars (und von Verlagen gesponsert) meist bis zur Sperrstunde munter getrunken, gefeiert und vor allem: genetzwerkt.

Wie geht es dem Indie-Buchhandel in den USA?
Der Indie-Buchhandel vibriert in den USA! 2010 gab es einen harten Einschnitt, Amazon und Ketten wie Barnes & Noble machten den Kollegen das Leben schwer. Viele Buchhandlungen mussten schließen. In den letzten Jahren jedoch florieren die "Kleinen" wieder. Ich sprach dort mit vielen jungen Kollegen, die voller Enthusiasmus neue Buchhandlungen eröffnen oder Geschäfte übernehmen. Die meisten Indies dort sind klassische Stadtteilbuchhandlungen. Viele Neugründer haben sich ihren Kiez genau ausgesucht und analysiert, was dort fehlt – und dementsprechend ihr Sortiment gestaltet.
 
Gibt es Parallelen zum unabhängigen Buchhandel in Deutschland?
Was mich am positivsten überrascht hat: Das Lesen und das Buch haben auch in den USA einen hohen Stellenwert. Und gerade die Indies verstehen sich dort als (politische) Orte der Kultur und der Begegnung.
Teilweise schien es mir, als hätte man Buchhandlungen mit Volkshochschulen "gekoppelt". Die berühmte Buchhandlung Politics & Prose (Drei Häuser) in Washington DC zum Beispiel führt pro Jahr 2.000 (!) Veranstaltungen durch. Und das sind nur die Lesungen. Dazu gibt es eine Vielzahl von Lesekreisen, Creative Writing Kurse (von namhaften Professoren) für Kunden, sowie literarische Kulturreisen nach Europa.

Was machen die US-Indies anders als Sie und Ihre Kollegen in Deutschland?
In den USA gibt es keine klassische Ausbildung zum Buchhändler – was mir viele neidische Blicke eingebracht hat, sobald ich vom deutschen Ausbildungssystem erzählt habe. Andererseits hatte ich das Gefühl, dass die Amerikaner gerade daraus einen Nutzen ziehen: Viele Menschen, die dort in Buchhandlungen arbeiten (oder diese gründen), sind Quereinsteiger oder gar komplette Neulinge. Ergo: Viele haben einen frischen und unverbauten Blick darauf, wie Buchhandel funktionieren kann. Es wird viel weniger gehadert und gemeckert als hierzulande: Man packt einfach an und macht – zumindest was den Buchhandel angeht.
 
Haben Sie auch Buchhändler in ihren Stores besucht?
Während jeder Station meiner Reise habe ich Buchhandlungen besucht. In New York habe ich privat die Kultbuchhandlungen The Strand und Rizzoli besucht. In Baltimore durfte ich eine komplette, geführte Buchhandlungstour durch fünf Buchhandlungen erleben. In Washington DC folgte ich den Tipps meiner Betreuerin, besuchte einige Buchhandlungen, darunter die berühmte Second-Hand-Buchhandlung Capitol Hill Books und durfte an einem Tag mehrere Stunden im East City Bookstore hospitieren. Dies war alles unglaublich beeindruckend, inspirierend und bereichernd.
 
Welche persönliche Botschaft haben Sie aus Baltimore mitgebracht?
Was mich glücklich gemacht hat: "Buchmenschen" scheinen universell großartige Menschen zu sein. Ich wurde mit offenen Armen empfangen und hatte unglaublich viele, unglaublich schöne und fruchtbare Begegnungen, Gespräche und menschliche Kontakte. Was mich noch glücklicher gemacht hat: Der Buchhandel dort ist jung, ist divers, ist queer, ökologisch und politisch aktiv. Voll von engagierten Menschen, die vor Ort in ihren Buchhandlungen und auf Branchentreffen wie dem Winter Institute für eine bessere Welt kämpfen.
Bezogen auf den deutschen Markt lautet die Botschaft: Weniger reden – einfach mehr wagen und machen! Derart mit Leben gefüllt, ist Buchhandel frisch, interessant und ansprechend.
 

Florian Valerius arbeitet als Buchhändler in Trier (Buchhandlung Heinrich Stephanus). Dank eines Stipendiums der Frankfurter Buchmesse, der Verlage Aufbau, C.H. Beck, DuMont, Hoffmann und Campe, Hanser, Klett-Cotta und Suhrkamp sowie der Förderorganisation Bookselling Without Borders konnte er am "Winter Institute" der ABA teilnehmen. 2019 wurde er mit dem Börsenblatt Young Excellence Award ausgezeichnet, der Teil der Frankfurter Buchmesse Young Talent Initiativen(Öffnet neues Fenster) ist.

 

Das Interview führte Michael Roesler-Graichen vom Börsenblatt; es erschien zuerst auf boersenblatt.net(Öffnet neues Fenster).