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Tahmineh Rostami

© Privat/Private

Auf der Frankfurter Buchmesse werden dieses Jahr kaum iranische Bücher zu finden sein. Expert*innen beschäftigen sich im Frankfurt Pavilion mit den Themen „Iran – wo lang?“ und „Iran – Revolution der Frauen“. Das Kölner Café Schallplatte hingegen ist mit seiner Sammlung und Präsentationen von Werken iranischer Exilautor*innen eine Bühne für unzensierte iranische Literatur und außerdem Treffpunkt iranischer Kinder, die hier Zugang zur iranischen Kultur finden. Wir sprachen mit der dort tätigen Schriftstellerin, Erzählerin, Lektorin, Journalistin und Aktivistin Tahmineh Rostami über ihre Rolle im Netzwerk „Iranische Verleger ohne Zensur“ und über die Möglichkeiten, Exilautor*innen zu unterstützen.

Tahmineh, könnten Sie sich kurz vorstellen und uns etwas über Ihr Kölner Kulturzentrum erzählen, das Café Schallplatte?

Hallo, erstmal muss ich mich dafür bedanken, dass Sie dieses Interview organisiert haben. Es ist mir ein Vergnügen, mit Ihnen zu reden. Ich heiße Tahmineh Rostani, ich bin Schriftstellerin, Erzählerin, Lektorin, Journalistin und Aktivistin. In meinem Land habe ich fiktionale Literatur gelehrt und im Bereich Kino und Kinderliteratur gearbeitet. Aber durch die Unterdrückung im Iran war ich, wie viele andere Iraner auch, gezwungen, das Land zu verlassen. Ich habe vor vier Jahren in Deutschland Asyl beantragt. Hier in Deutschland arbeite ich ehrenamtlich im künstlerischen Bereich, vor allem bringe ich eingewanderten Kindern die persische Literatur, Musik und darstellende Künste nahe. Ich arbeite jetzt seit etwa vier Jahren mit Geflüchteten – Iranern, Afghanen und anderen – im Café Schallplatte. In diesem Café und dieser Bibliothek, die ein kleines interkulturelles Zentrum darstellt, veranstalte ich Treffen, um die Werke und Bücher von Exilautoren dem iranischen Publikum vorzustellen. Wir präsentieren Bücher aus allen Bereichen, weil wir glauben, dass die Zensur einer der schlimmsten Aspekte der Diktatur und der Unterdrückung ist, die in unserem Land herrschen. Die brutale Form dieser Zensur sieht man in den Straßen des Iran. Neben dem Vorstellen von Exilautoren habe ich vor zwei Jahren ehrenamtlich begonnen, die persische Sprache und traditionelle persische Performance an die nächste Generation von Iranern hier in Köln weiterzugeben. Bei diesen Stunden sind iranische Kinder zwischen 2 und 10 Jahren dabei, und wir lesen gemeinsam Geschichten, sehen uns Animationsfilme an, spielen und singen. Und durch all das erlernen wir die persische Sprache als unsere gemeinsame Sprachesein.

Könnten Sie Ihre Rolle im Netzwerk „Iranische Verleger ohne Zensur“ beschreiben?

Hier im Café Schallplatte bringen wir unabhängige Verlage mit dem Publikum zusammen, indem wir Werke vorstellen, die in keiner Weise der Zensur nachgegeben haben und die frei veröffentlicht wurden. Wir stellen einen Raum und eine Bühne zur Verfügung, auf der iranische Autoren aus der ganzen Welt ohne Druck sprechen können. Im Iran sind alle Autoren und sogar die Übersetzer gezwungen, einige ihrer Überzeugungen wegzulassen und nur solche Dinge zu sagen, die der Meinung der Regierung entsprechen – ein Großteil davon ist dazu bestimmt, für Terrorismus und Rassismus zu werben oder all die brutalen und aggressiven Handlungen der Politiker der Islamischen Republik zu entschuldigen. Sie stecken sogar Schriftsteller und Übersetzer ins Gefängnis, weil sie schreiben. Auf der Frankfurter Buchmesse im letzten Jahr war ich mit der Darstellung einer protestierenden Hand und einem T-Shirt, das auf die Inhaftierung dreier Schriftsteller im Iran hinwies, und heute muss ich leider mitteilen, dass einer dieser Schriftsteller im Gefängnis getötet wurde. Ich spreche von Baktash Abtin. Wir treffen uns hier, um freie Werke iranischer Autoren im Exil zu präsentieren, vor allem die der Schriftstellerinnen, die den Druck des Regimes am stärksten zu spüren bekommen. Ich selbst will einen Verlag gründen, um noch mehr Werke iranischer Autoren zu präsentieren, deren Stimme noch nicht von ihren Landsleuten gehört werden kann. Ich denke, dass dieses Kulturzentrum helfen wird, die iranischen Kinder zu unterrichten, und zwar als vielsprachiges Zentrum. Ich stelle mir vor, dass es in ganz Europa expandieren könnte, aber zunächst will ich es in Deutschland etablieren.

Wie reagiert das Netzwerk auf die schreckliche, gewaltsame Niederschlagung der Proteste im Iran durch die Regierung?

Wie alle freien und gewissenhaften Männer und Frauen auf der ganzen Welt verurteilen wir diese Gewalt, die allerdings nicht nur in diesen Tagen geschieht. Ich kann viele Hinrichtungen und Beispiele von Unterdrückung aufzählen, vom Beginn der islamischen Revolution 1979 an. Aber wie Sie wissen, flammte diese tapfere Bewegung ursprünglich nach dem brutalen Mord an Mahsa Amini durch die iranische Religionspolizei auf. Der Hijab ist ja im Iran Pflicht, und vom ersten Tag dieses Regimes an waren wir iranische Frauen den Aggressionen dieser seltsamen Polizeitruppe ausgesetzt. Jeden Tag wurden so viele Mädchen im Iran wegen dieser dogmatischen Regel festgenommen. Nach der Tötung Mahsas sind alle Iraner aufgestanden, um gegen diese Gesetze zu demonstrieren, und jetzt wollen wir unsere Grundrechte zurück. In den ersten Tagen der Bewegung hat das Netzwerk ein Statement gegen diese Grausamkeit und Brutalität abgegeben. Wir haben viele Petitionen zur Unterstützung des iranischen Volkes eingereicht. Außerdem nehmen wir Kontakt zu internationalen Organisationen auf, darunter auch die Frankfurter Buchmesse, um weitere Möglichkeiten für Menschen und freie Künstler zu schaffen. Einige Mitglieder unseres Netzwerks haben künstlerische Werke geschaffen, um diese Bewegung zu unterstützen, die die Menschenwürde der Iraner zurückerlangen will. Jeden Tag planen wir Versammlungen in Deutschland und anderen Teilen der Welt, um die unschuldige Stimme unserer Schwestern und Brüder im Iran sein zu können. Wir unterstützen alle Schriftsteller, die die Stimme des Iran sein möchten. Und derzeit arbeiten wir daran, wie diese Unterstützung aussehen kann.

Wann wurde das Netzwerk Iranische Verleger ohne Zensur gegründet, und was ist sein Ziel?

Die erste „Unzensierte Teheraner Buchmesse“ fand 2016 statt. Seitdem wurde sie jedes Jahr in verschiedenen Städten der Welt ausgetragen. Dieses Jahr ging es in London los, dann Paris, Stockholm, Toronto, Los Angeles, Frankfurt, Wien, Lübeck, Hamburg, Kopenhagen – und der Abschluss fand in den Niederlanden statt. Unser Ziel ist es, eine Vielzahl an Stimmen zu ermöglichen, die Pluralität von Meinungen und Gedanken, so dass nicht nur eine einzelne Stimme die Literatur und die Welt des Denkens dominieren kann. Wir hoffen auf den Tag, an dem es keine Zensur mehr gibt, den Tag, an dem die freie Meinungsäußerung und die Meinungsfreiheit zu den Grundregeln des Iran gehören. An dem jeder Schriftsteller die Geschichte schreiben kann, die er will, jeder Verleger seine Bücher veröffentlichen kann, ohne Angst vor Beschlagnahmung oder Bedrohungen. An dem jeder Leser sein Lieblingsbuch ganz einfach finden und lesen kann. Ohne jede Zensur. Wir hoffen, dass es eines Tages, hoffentlich schon bald, keine unzensierte Buchmesse mehr geben muss.

Wie ist das Netzwerk formell organisiert? Gibt es eine Webseite?

Alle jährlich stattfindenden Buchmessen haben eigene Webseiten. Informationen zur letzten Messe findet man zum Beispiel hier: https://uncensoredbookcom.wordpress.com. Unser Ziel ist es, dass alle Verlage im Exil an diesem unabhängigen Treffen teilnehmen, weil wir alle unter demselben Regime leiden. Bei der letzten Messe haben wir ein für uns wichtiges Ziel erreicht. Damals haben zwanzig iranische Verleger an der Buchmesse teilgenommen. Und wie gesagt, die Buchmesse fand in einigen wichtigen Städten statt, in denen viele iranische Bürger leben. Die zentrale Figur dieses Netzwerks ist Tinoush Nazmjou, ein Theaterautor, Übersetzer und Regisseur, der in Paris lebt. Wir haben eine Satzung, das auf das Recht auf Unabhängigkeit und die Freiheit aller iranischer Autoren weltweit besteht.

Es gibt weltweit viele iranische Exil-Verlage – in welcher Sprache veröffentlichen diese?

Das Meiste wird in Farsi veröffentlicht. Aber es ist für viele dieser Verlage üblich, eine Übersetzung der erfolgreichsten Bücher in die Sprache des Landes zu veröffentlichen, in dem der Verlag ansässig ist. Es gibt einige Bücher, die ins Englische, Deutsche, Französische oder Schwedische übersetzt wurden.

Welche Themen interessieren die iranische Exilgemeinschaft?

Es gibt sehr viele Themen, die die iranische Exilgemeinschaft interessieren. Ich arbeite ja im Café Schallplatte, wo man viel mit Büchern und Literatur zu tun hat, und ich kann sagen, dass es durch die riesige Anzahl von Iranern im Exil – in Deutschland und auf der ganzen Welt – ein sehr breites Spektrum von Interessen gibt. Aber soviel kann ich sagen: Zu den Themen, die Iraner besonders interessieren, gehören Geschichte, kritische Bücher über den Islam, Belletristik in sämtlichen Formen, Lyrik und die Memoiren politischer Gefangener, die ihre Erfahrungen in den Gefängnissen des Regimes der Islamischen Republik nicht im eigenen Land veröffentlichen können.

Viele der von den iranischen Verlegern im Exil veröffentlichten Manuskripte werden von Autoren geschrieben, die noch im Iran leben. Das heißt, sie riskieren ihr Leben … gibt es Möglichkeiten, ihre Identität zu schützen?

Das ist eine wichtige Frage. In der Geschichte der Welt haben wir immer gesehen, wie sich Schriftsteller für die Freiheit eingesetzt und gegen jede Form von Diktatur protestiert haben. Da lassen sich die großen Autoren Afrikas, Südamerikas und Südostasiens nennen, genauso wie die des Nahen Ostens, wie die kurdischen Autoren, die afghanischen, die türkischen und, in manchen Fällen, die russischen. Und sie alle haben es geschafft, dass ihre Stimmen weithin gehört wurden. Manche von ihnen wurden ins Gefängnis geworfen, manche wurden getötet, und manche wurden auf sehr, sehr brutale Weise gefoltert. Ngũgĩ wa Thiong’o zum Beispiel, der große Schriftsteller Kenias, wurde ins Gefängnis gesteckt und schrecklich gefoltert. Und iranische Autoren erleben in dieser Phase der Geschichte eine äußerst abstoßende und brutale Reaktion ihres Regimes. Es gibt verschiedene Möglichkeiten, ihre Bücher unzensiert zu veröffentlichen. Manche entscheiden sich, ihre Bücher durch die Verleger im Exil unter ihrem richtigen Namen zu veröffentlichen, manche veröffentlichen sie unter Pseudonym, manche veröffentlichen sie selbst, in elektronischen Formaten wie PDF, und manche drucken ihre Bücher sogar selbst und verteilen sie persönlich an Menschen, denen sie vertrauen. Doch sie alle riskieren ihr Leben. Und einer der wichtigsten Punkte ist, dass sie, wenn ihre Bücher bekannt werden und ein großes Publikum finden, mit großer Wahrscheinlichkeit vom Regime dafür bestraft werden. Und die haben ihre Methoden, um die Autoren und Künstler zu finden und festzunehmen. Ich bin der Meinung, die internationalen Organisationen sollten größeren Druck auf das Regime ausüben und diese Quellen von Nachdenklichkeit stärker unterstützen. Kurz gesagt, es ist sehr schwierig, die Identität der Autoren im Iran zu schützen. Das ist der Grund, warum ich und so viele andere wie ich im Exil leben.

Wie kann die international Verlagsgemeinschaft die iranischen Verleger und Schriftsteller im Exil unterstützen?

Es gibt viele Möglichkeiten, die Autoren im Exil zu unterstützen. Zunächst können die internationalen politischen Organisationen es ihnen erleichtern, das Bleiberecht zu bekommen. Sie können sich vorstellen, wenn ein Mensch nicht weiß, ob er oder sie ein sicheres Zuhause hat, kann er oder sie nicht die nächste Stufe der Kreativität erreichen. Dann kann es sehr hilfreich sein, die Verlage finanziell zu unterstützen. Dann kann es sehr hilfreich sein, den Verlagen finanziell zu helfen, die nicht von der terroristischen Regierung unterstützt werden, um auf internationalen Buchmessen präsent zu sein - unterstützt von derselben Regierung, die in diesen Wochen so viele Menschen auf den Straßen des Iran getötet hat. Denn es ist nicht gerecht, auf diesem Markt mit einem Regime zu konkurrieren, das in so großem Maße Propaganda betreibt. Vielleicht können Zuschüsse helfen, die die Übersetzung iranischer Autoren im Exil fördern, zumindest in die Heimatsprache des Gastlands. Und schließlich ist das wichtigste Thema in diesen Jahren das der Verbreitung und der Werbung. Wir erwarten, dass die staatlichen Medien der einflussreichen Länder aktiver an diesem friedlichen Kampf (dem vielleicht friedlichsten überhaupt) teilnehmen und die Stimmen verbreiten, die den Frieden wollen.

Ich danke Ihnen für die Gelegenheit, über die Probleme der Autoren im Exil zu sprechen. Ich sollte noch hinzufügen, dass die Themen, die im Iran zensiert werden, manchmal absolut lächerlich sind. Jedes Wort, das sich auf den Körper der Frau bezieht, jeder Satz, der eine brutale Handlung einer religiösen Person bezeichnet, jede Erwähnung von Aberglauben in einem religiösen Land ist verboten. Und ich brauche Ihnen nicht zu sagen, dass LGBTQ-Themen strengstens verboten sind und einen Autor in meinem Land ins Gefängnis bringen können. In dieser Situation wissen wir jede Bemühung zu schätzen, zur Verbreitung der hilflosen Stimmen dieser Menschen beizutragen, die unter Unterdrückung und Aggression leiden.

Interview von Kathrin Grün, Marketing & Kommunikation, Frankfurter Buchmesse