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Juergen Boos (c) Jonas Ratermann_2019

© Frankfurter Buchmesse / Jonas Ratermann

Die Frankfurter Buchmesse hat mit den Planungen einer physischen Messe 2021 begonnen (20. bis 24. Oktober 2021). Dazu führte das Team in den vergangenen Wochen Gespräche mit insgesamt mehr als 200 Kunden. Buchmesse-Direktor Juergen Boos spricht hier über deren wesentliche Wünsche – und wie die FBM auf sie eingehen will.

 

 

Die Kundenbefragung

  • Mit 140 Kunden hat die FBM in den vergangenen Wochen Einzelgespräche geführt.
  • Unterstützt von der Unternehmensberatung Metaplan, wurden außerdem in elf Workshops 85 weitere Kunden der Buchmesse gehört.
  • Die Teilnehmer*innen kamen aus allen relevanten Segmenten und Märkten. Im Schwerpunkt waren es Verlage, aber auch Rechte-Direktor*innen und Agenturen sowie die Organisator*innen von Nationalständen wurden befragt.
  • Die Kernfragen: Was treibt die Kunden der FBM in der gegenwärtigen, sehr unsicheren Zeit um? Und was kann die FBM tun, um ihre Kunden noch besser zu unterstützen?

 

Ihre Kunden, Herr Boos, sind so divers wie die Branche. Gibt es – egal ob Trade oder Fachbuch, ob Konzern oder kleine Firma, ob in Deutschland oder in Lateinamerika – einen Wunsch für die FBM 2021, den alle teilen?
Was alle eint, ist der Wunsch nach persönlicher Begegnung und Austausch. Und nach einem Matchmaking-Angebot – digital und besonders vor Ort –, das sowohl fachlichen Bedürfnissen Rechnung trägt wie auch zufälligen Konstellationen Raum gibt. Netz­werken finden alle wichtig. Unsere Kunden wollen Vertrauen aufbauen bei Geschäftspartnern, wollen auf Ideen kommen, kreative Gespräche führen, über neue Titel reden.

Was davon geht digital genauso gut, vielleicht sogar besser als physisch?
In der Frage können wir ja auf ­unsere Erfahrungen in diesem ­Oktober zurückgreifen. Was sehr gut funktioniert hat, waren Fach­konferenzen mit einem spezifischen Themenfokus. In den Communitys erfüllen die digitalen Tools ihre Zwecke. Die Konferenz­formate wollen wir bei­behalten, sie allerdings hybrid an­bieten, also als physisches Ereignis mit digitaler Verlängerung durch Streaming. Auch unsere Ko­operation mit den Medienpartnern lief gut, sie wollen wir fortsetzen. Schwieriger wird es digital immer dann, wenn der Kreis der Teilnehmenden und das Spektrum der Interessen, die wir bedienen wollen, sehr groß ist. 

Woran liegt das?
Wer ein Bedürfnis nach Selbstbestimmung hat, wer auf einer Buchmesse auch gerne mal seinem Bauchgefühl folgt, der kann das mit digitalen Begegnungsangeboten offenbar weniger gut befriedigen. Die eine große Digitalplattform der Buchbranche, auf der 365 Tage im Jahr Betrieb ist, wird der Diversität und den vielen verschiedenen Erwartungen eben nur bedingt gerecht. Viele vermissten auf ihre individuellen Bedürfnisse zugeschnittene Formate. 

Welche Rolle spielt die Webseite buchmesse.de? Fanden die Verlage sich mit ihren digitalen Auftritten dort richtig vertreten?
Das müssen wir noch weiter analysieren. Mein Eindruck im Moment ist, dass es noch nicht der Weisheit letzter Schluss sein kann, auf buchmesse.de alles zu versammeln.  Vielleicht sollten wir eher noch mehr dorthin gehen, wo die Menschen sich gewohnheits­mäßig im Digitalen bewegen, also zum Beispiel auf YouTube oder auf Facebook.

Ein Format stach besonders hervor und scheint viele Wettbewerber inspiriert zu haben. Wie hat The Hof funktioniert?
Die Veranstaltungen waren immer sehr gut besucht. Mit The Hof haben wir es tatsächlich geschafft, ein bisschen die Vielfalt herzustellen, die in normalen Jahren das Messegefühl in Frankfurt bestimmt. Aber es war natürlich auch sehr aufwendig, das alles zu planen und zu bauen: die Livemusik, die Modera­tionen, die Breakout-Sessions, mit denen wir den Zufall der Begegnung wieder ins Spiel bringen wollten.

 

Die wichtigsten Ergebnisse

  • Die überwiegende Mehrheit der Kunden gibt an, wirtschaftlich bisher gut bis sehr gut durch die Pandemie zu kommen.
  • Die Kunden wollen, wenn möglich, im Oktober 2021 physisch in Frankfurt dabei sein.
  • Gewünscht wird eine Messe, die sich auf das Wesentliche konzentriert. Als wesentlich wird die physische Begegnung erachtet: Re-connect! Re-unite!
  • Die physische Begegnung dient bei den internationalen Ausstellern vorwiegend B2B-Zwecken.
  • Den Publikumsverlagen in D-A-CH ist die Begegnung mit dem Publikum und das damit einher­gehende Medienecho besonders wichtig.
  • Der am häufigsten genannte Anspruch an das digitale Angebot der FBM: ein verbessertes Matchmaking-Tool.
  • Für den Fall, dass eine physische Messe stattfinden kann, erwarten die Kunden im kommenden Jahr keine weitergehenden digitalen Angebote. 
"Virtuell lassen sich nicht so viele Meetings abhalten wie bei vollgepacktem Terminkalender im Agentenzentrum. Du kannst auch nicht diese zufälligen Kontakte knüpfen."

Isobel Dixon

Mit welchen spezifischen Angeboten wollen Sie auf die vielen kleineren Aussteller im nächsten Jahr zugehen?
Schon als wir die lange Zeit noch physisch geplante FBM 2020 vor­bereitet haben, war zu sehen, dass gerade bei kleineren Ausstellern Kooperationsmodelle sehr gut funk­tionieren können. Das Thema werden wir weiterentwickeln. Und natürlich werden wir, wie Leipzig auch, die öffentliche Förderung durch die Staatsministerin für Kultur und Medien gezielt an unsere kleineren und mittleren Verlagskunden weiterreichen. Wir verstehen diese Unterstützung bewusst als Förderung der Vielfalt.

Bei Verlagen waltet in der Pandemie ein hohes Kostenbewusstsein. Parolen wie »Die Party ist vorbei« machen die Runde. Wie reagieren Sie darauf?
Es wird beim Messeauftritt immer mit spitzem Bleistift gerechnet. In der aktuellen Krise wird mit größter Sorgfalt auf die Budgets geschaut. Dem stellen wir uns. Dabei geht es den Ausstellern nicht nur um die Quadratmeterpreise, sondern auch um Personal und Reisekosten. Wir sind im Austausch mit dem Hotel- und Gaststättenverband über verkraftbare Übernachtungspreise. 

Mit welchen Konzepten reagieren Sie auf die derzeit knapperen Budgets?
Zum einen werden wir das Konzept der Workspaces weiter ausbauen, also Möglichkeiten, sich flexible Präsenzen einzurichten und auf die Weise Sichtbarkeit zu bekommen. Das andere Thema sind neue Standbaukonzepte, bis hin zu Kombi-Angeboten mit digitaler Unterstützung. Präsenz und ein aussagekräftiger Auftritt sind wichtig.

Wie wird 2021 die Balance zwischen Fach- und Publikumsmesse aussehen?
Das ist und bleibt natürlich ein Spagat. Die Publikumsseite werden wir auch weiterhin stark mit dezentralen Angeboten in der Stadt adressieren. Wenn in London Buchmesse ist, merkt das niemand in der City. Aber Frankfurt lebt seine Messe. Wir haben eine quicklebendige Veranstaltungsszene. Ich kann mir vorstellen, dass wir in Zukunft davon auch auf dem Messegelände mehr sichtbar machen. Also nicht nur: Die Messe kommt in die Stadt, sondern auch: Die Stadt kommt auf die Messe.

Wird es einen erweiterten Buchverkauf auf der Messe geben?
Viele Verlage wünschen sich eine zeitliche Ausdehnung des Buchverkaufs, ähnlich wie in Leipzig. Die deutschen Verlage wünschen sich, im kommenden Jahr bereits den Messefreitag für das Publikum zu öffnen. Mit dieser Entscheidung würden wir auch dem wahrscheinlichen Umstand Rechnung tragen, dass wir im Oktober noch gar nicht wieder die hohen Tagesbesucherzahlen zulassen können, und dann täte eine Entzerrung nur gut.

Welche Erwartungen an die Erneuerung der Messe gibt es bei den Kunden?
Die Verlage sind stark daran interessiert, dass wir uns auf das Wesentliche konzentrieren: physische Begegnungen möglich machen, Plätze für Gespräche mit Geschäftspartnern vorhalten, gute Präsentationsflächen durch die Messestände anbieten, eine Symbiose aus Fach- und Publikumsmesse schaffen. Re-connect! Re-unite! Das sind die zentralen Anforderungen der Verlage an uns.

Wie geht es Ihren Kunden wirt­schaftlich?
Viele fahren unter der Belastung der Pandemie nach wie vor auf Sicht. Aber wenn man genauer nachfragt, zeigt sich bei den meisten, dass das Krisenjahr 2020 doch besser als erwartet gelaufen ist. Man hat im Frühjahr sehr schnell umgeschaltet von Schockstarre auf Aktivität. In bestimmten Bereichen wie dem Kinderbuch, dem Audiobook gab es eine deutlich verstärkte Nach­frage. Aber das Bild ist heterogen. Schulbuchverlage sehen den Digitalschub im Moment als Herausforderung. Wissenschaftsverlage, die an Bibliotheken verkaufen und von öffent­lichen Geldern abhängig sind, befürchten für das kommende Jahr Einbrüche in den Budgets. Über alle Bereiche betrachtet verlaufen die Trends, die wir gerade in Deutschland sehen, und die ­internationalen Entwicklungen sehr ähnlich.

Was macht das Gastland?
Das Ehrengastteam arbeitet gerade an einer speziellen Buchhandelskampagne. Kanada ist mit über 200 Neuerscheinungen auf dem deutschen Buchmarkt vertreten. Die will man jetzt sichtbar halten für das Sortiment.

Tauschen Sie sich mit Ihren internationalen Messekolleginnen und -kollegen über die Lage in der Pandemie aus?
Wir sind alle viel enger zusammengewachsen. Das gilt für die Kollegen von Göteborg bis Guadalajara. Alle paar Wochen tauschen wir uns aus: über Erfahrungen, über neue Ideen, darüber, was wir digital voneinander lernen können. Auch unsere Aktivitäten mit dem Auswärtigen Amt, mit denen wir international für das Buch aus Deutschland werben, haben wir sehr kurzfristig ins Digitale gebracht.

Was sind die nächsten Schritte?
Wir sind weiterhin im Gespräch mit unseren Kunden in Deutschland und weltweit. Wir wissen, dass wir auf die Kundenwünsche und die Rahmenbedingungen im nächsten Jahr sehr flexibel eingehen müssen und werden das im Messekonzept 2021 berücksichtigen. Wir arbeiten hart und freuen uns auf die Begegnungen mit allen Büchermenschen. 

 

Was Kunden sich anders wünschen

  • Zu viel Rummel, zu starke Konzentration auf deutsche Themen.
  • Früh und transparent kommunizieren, Storno flexibel halten.
  • Frankfurt ist (zu) teuer. 
  • Konzernverlage wollen ihre Messekosten senken: weniger Tage, weniger Leute entsenden.
  • Kleine Verlage fordern niedrigere Hotelkosten.
  • Eine klarere, räumliche wie zeitliche Trennung von Fach- und Publikumsmesse, um den verschiedenen Interessen gerecht zu werden
  • Mehr flexibel buchbarer Raum für Einzelgespräche
  • Kleine, kostengünstige Bühnen für mehr Live-Interaktionen
  • Buchverkauf an allen Publikums­tagen zulassen
  • Areale anbieten, die am Wochen­ende geschlossen werden
  • Öffnungszeiten pro Tag ausweiten, um auch Kurzbesuchern möglichst viel bieten zu können

 

Das Interview wurde geführt von Torsten Casimir für börsenblatt.net.