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“…mehr als im Theater oder Film möglich ist” 

Interview mit Ralph Trommer über literarische Comic-Adaptionen

Immer mehr literarische Klassiker werden als aufwendige Comics und Graphic Novels adaptiert. Unter dem Motto “Der zweite Blick: 32 Comic-Adaptionen von Babylon Berlin bis Marcel Proust” präsentiert die Frankfurter Buchmesse eine Kollektion mit Schwerpunkt Berlin an ihren deutschen Gemeinschaftsständen auf den Auslandsmessen(Öffnet neues Fenster). Zeit für ein Interview mit dessen Kurator: Ralph Trommer(Öffnet neues Fenster), Comic-Experte und Kulturjournalist, u.a. für die taz, Der Tagesspiegel und FAZ.

Falladas „Der Trinker“, Dürrenmatts „Die Physiker“ — die Kollektion bietet viele Adaptionen literarischer Klassiker. Sind solche Inhalte ein neuer Trend in der Comic-Szene?

Es gab bereits in frühen Comicstrip-Tagen zahlreiche Adaptionen von Klassikern, wie etwa die ersten “Tarzan“-Comics von Hal Foster um 1930. Später gab es auch in Deutschland Reihen wie “Illustrierte Klassiker“. Und “Das siebte Kreuz“ ist ein Beispiel für eine sehr frühe Adaption eines schnell zum Klassiker avancierten, hochaktuellen Werkes von Anna Seghers während des 2. Weltkrieges. Die Mehrzahl der Comics basieren allerdings auf Original-Ideen. Mit dem Boom der Graphic Novels in den letzten zwei Dekaden ist auch die Anzahl an Adaptionen gestiegen. Das hängt mit dem gestiegenen Image zusammen, das Graphic Novels innerhalb der Literatur-Szene genießen. In diesem Segment ist es seitdem möglich, anspruchsvolle Geschichten zu erzählen und somit auch bereits bekannte literarische Vorlagen aufzugreifen. Welche Klassiker ausgewählt werden, ist vom jeweiligen Künstler abhängig. Oder es gibt einen Auftrag, etwa von einem Verlag, der einem bestimmten Klassiker durch eine Graphic Novel-Interpretation wieder Aufmerksamkeit verschaffen will. Die Künstler selbst entscheiden heute nach individuellen Kriterien: ihnen steht offen, ob sie eigene Stories erzählen wollen oder ihren Stil anhand einer Klassikerinterpretation erproben wollen.

 

Wie muss ein Roman sein, damit daraus ein erfolgreicher Comic werden kann? Gibt es Ausschlusskriterien?

Generell gibt es für die Kunst keine Ausschlusskriterien, aber auch keine wasserdichten Erfolgskriterien. Meiner Ansicht nach hängt es einzig von der Inspiration ab, die ein Werk, ein Roman, auf den jeweiligen Zeichner oder auch Szenaristen ausübt, der oder die ja zunächst auch erstmal nur “Leser” sind und die im zweiten Schritt eine eigene Vision entwickeln müssen. Man merkt es Graphic Novels an, wenn sie die Vorlage nicht nur routiniert adaptieren, sondern die Phantasie der Künstler davon zu einer eigenen “Neuschöpfung“ des Werks angeregt wird. Als Vorlage eignen sich sowohl triviale Stoffe (z. B. “Malcolm Max“, “Die drei ???“, “Mark Brandis“) wie Weltliteratur (von Anna Seghers, Edgar Allan Poe, Marcel Proust). Heute können sogar Tagebücher eine angemessene Übertragung in Comics finden (“Mühsam“). Es gibt jedoch auch eine Reihe von weniger gelungenen Adaptionen, die ein Werk 1:1 in Bilder übertragen, ohne dass ein künstlerischer Mehrwert entsteht. So gibt es z.B. bislang kaum wirklich gute Kafka-Adaptionen, obwohl es sehr viele Versuche gab. Einer guten Adaption gelingt ein eigenständiger Blick auf das Werk, sie kann sehr frei ausfallen — ein Beispiel hierfür ist Lukas Jüligers Adaption von “Berenice“, der Poes Text in etwas sehr Heutiges verwandelt. Oder Lorenzo Mattottis “Hänsel und Gretel“-Interpretation: das ist ebenfalls ein eigenständiges Kunstwerk, das den Geist der Vorlage trifft.
Ein Erfolg ist letztlich auch vom Zeitgeist abhängig, der wohl eher zufällig getroffen wird. Reinhard Kleists “Nick Cave“-Comic erscheint mir ein gutes Beispiel dafür, dass ein Künstler sich in sein Thema so besessen reinkniet, dass man es beim Lesen spürt.

 

Biographie, Belletristik, Tagebuch, Theaterstück — können aus allen literarischen Genres dank Cross Media Publishing gute Comics entstehen?

Ja. Wie in der Theaterszene heutzutage oft Romane und Filme als Grundlage für Bühnenstücke genommen werden, können auch Comics ein beliebiges Thema aus einem anderen Medium ins eigene übertragen. Vermutlich können sie sogar mehr, als im Theater oder im Film möglich ist, da Comiczeichner mit Hilfe ihres Zeichenstifts, der Auswahl der Farben oder auch dem Computer als Hilfsmittel eigene Welten erschaffen. Das können aufwendige Fantasy- oder Science-Fiction-Welten sein. Aber auch die minimalistisch gezeichneten Comics von Nicolas Mahler erschaffen für die Dauer der Lektüre eine überzeugende eigene Wirklichkeit. Das ohnehin beliebte Krimigenre hat sich auch im Comic bewährt. Da gibt es viele Beispiele gelungener Reihen, welche die Vorlagen stimmungsvoll in Bilderzählungen übertragen, von Dashiell Hammetts “Fliegenpapier“ über “Wilsberg“ bis zu den Volker Kutscher-Romanen. Das extremste Beispiel ist vielleicht die Transformation des jahrtausendealten, auf Steintafeln gehauenen Gilgamesch-Epos in einen “antiken“ Comic durch Jens Harder.

 

Die Digitalisierung bringt uns immer wieder neue Formate für Erzählungen: E-Books, Apps, Games, Gifs, Emojis u.v.m. Was bedeutet die digitale Entwicklung für die Comic-Szene?

Es ergeben sich vielleicht neue Präsentations- und Vertriebsmöglichkeiten für Comics, die nun in ganz unterschiedlichen Zusammenhängen überall gelesen werden können. Allerdings sind diese noch nicht ausgereift. Bislang ist die klassische Form auf gedrucktem Papier immer noch die erfolgreichste, jedoch werden viele Titel schon als E-Book angeboten. Technisch-formal gibt es zwar Neuerungen wie die “unendliche Leinwand“ eines Daniel Lieske (“Wormworld Saga“) — diese machen aber selten allgemein Schule. Animierte Comics z.B. ergeben Animationsfilme. Der Comic selbst hat andere Ausdrucksmittel. Letztlich ist für jeden passionierten Comic-Leser das haptische Lesen auf Papier einfach sinnlicher, als einen Comic auf einem Bildschirm zu lesen.

 

Zum Schluss nochmal zurück zur Kollektion “Der zweite Blick: 32 Comic-Adaptionen von Babylon Berlin bis Marcel Proust“: Was ist das Besondere — auch für ein internationales Publikum — an Berlin als Handlungsort?

Berlin ist im Moment und vielleicht noch viele weitere Jahre en vogue. Das liegt daran, dass sich in dieser Stadt das extrem geschichtenstarke 20. Jahrhundert spiegelt. Es lassen sich Geschichten über die spannende Zeit der Zwischenkriegszeit erzählen, die einen gesellschaftlichen Neuanfang beinhaltete und in einem historischen Abwärtsstrudel endete. Die Nazizeit ist eine weitere Epoche Berlins voller Verwerfungen, die sich anschaulich in Bilder übertragen lässt. Schließlich sind auch der Kalte Krieg und die Wendezeit wichtige Epochen, von denen die Menschen heute noch geprägt sind. Vielleicht ist Berlin heute so hip, weil es ähnlich wie in den 20er Jahren nach dem Fall der Mauer wieder in einer Umbruchszeit steckt. Die Visualisierung der Vergangenheit ist dabei meist interessanter als die unmittelbare Gegenwart vor der Haustür darzustellen. Die Rekonstruktion einer Epoche kann durch großartige Zeichner, die Wert auf gut recherchierte Hintergründe und Kostüme legen, im Comic besonders eindringlich ausfallen. “Der kalte Fisch“, gezeichnet von Arne Jysch, ist so etwas wie die Berliner Antwort auf Léo Malets Pariser Krimis über Nestor Burma aus der Feder von Jacques Tardi. Bei aller grafischen Virtuosität sollte nicht vergessen werden, den vielen offenen Fragen des vergangenen Jahrhunderts nicht bloß mit aufwendiger Illustration zu begegnen, sondern anhand intelligent erzählter Geschichten.

Vielen Dank für das Interview, Herr Trommer!

(Das Interview führte Frank Krings(Öffnet neues Fenster), PR Manager der Frankfurter Buchmesse.)

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