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Die Mentorinnen Goldschmidt-Programms 2023

© privat

Die Frankfurter Buchmesse rückte 2022 mit der Kampagne „Translate. Transfer. Tranform.“ das Thema Übersetzen in ihren Mittelpunkt und die Veranstaltungsbühne im Internationalen Zentrum für Übersetzung war außerordentlich gut besucht, auch von Neueinsteiger*innen und dem allgemeinen Publikum. Was ist so faszinierend an der Tätigkeit des Übersetzens?

Isabelle Liber: Was mich persönlich fasziniert, ist die Bewegung zwischen den Sprachen, den Kulturen, und nicht zuletzt zwischen den Menschen. Der Umgang damit fordert die Kreativität der Übersetzer*innen heraus, aber auch ihre Fähigkeit, dem übersetzen Text in der Zielsprache seine Ordnung zu geben, also seine Kohärenz zu erhalten. Diese Spannung zwischen Freiheit und „Einengung“ ist ein faszinierendes Spielfeld. Was mich hier beruflich besonders glücklich macht: Die Möglichkeit, immer Neues zu entdecken, immer wieder mit dem Schreiben neu zu experimentieren.

Claudia Hamm: Übersetzen ist zuallererst eine Auseinandersetzung mit dem Anderen. Gefragt sind Offenheit, Empathie, Weltwissen und eine sehr komplexe und sehr sinnliche Art des Lesens – und des Schreibens. Ich habe ständig mit einem komplexen „Film“ und „Soundtrack“ zu tun, der in meiner Sprache aber noch stumm ist. Ich darf beidem zu einer neuen Form und Lebendigkeit verhelfen. Jeden Tag auszuloten, mit welchen Mitteln das in der eigenen Sprache möglich ist, ist ein sehr erfüllendes Tun. Zudem konfrontiert das Übersetzen mit Dingen, die jenseits des eigenen Horizonts liegen, ich lerne dabei enorm viel. Und ich empfinde den Kontakt mit einer anderen Sprache als große Freiheit und Lust. Übersetzer*innen hören, verleihen und vermitteln Stimmen, die sonst in unserer Sprachgemeinschaft nicht gehört würden, darin steckt Verantwortung, Politik und Ethik. Es macht die eigene Welt größer.

War das schon immer so oder ist da vielleicht eine neue Tendenz/Qualität zu erkennen?

Claudia Hamm: Es gibt historisch Tendenzen innerhalb der Erwartungen, die an Übersetzungen gerichtet werden. Im Barock zum Beispiel hätte man eine Übersetzung nie als eine Art von Kopie verstanden, da es keinen so emphatischen Autorbegriff gab wie heute, außer im Bereich der Bibelübersetzung. Spätestens mit der Genieästhetik änderte sich das. Danach wurde dann viel diskutiert, ob eine Übersetzung die Leser eher hin zur Ausgangs- oder zur Zielsprache bewegen sollte. Interessant sind Überlegungen, nach denen erst die Übersetzung einen Text zu einem Original macht. Oder solche, nach denen die Übersetzung den Raum zu der einen, gemeinsamen Sprache vor der „babylonischen Sprachverwirrung“ öffnet. Und egal, wann sie verfasst wurden, es gibt Übersetzungen, die aufgrund ihrer sprachlichen Schönheit oder Suggestion sehr lange eine Leserschaft finden. – Verändert hat sich also wohl das Selbstbild von Übersetzenden als Koautor*innen eines Textes. Oder wie José Saramago sagte: Die Weltliteratur wird von Übersetzern gemacht.

Das Klischee ruft das Bild des einsamen Übersetzers im stillen Kämmerlein auf. Sie sind aber im Gegenteil eine Person, die sehr stark und in viele Richtungen vernetzt ist. Wie wichtig ist es, auch in diesem Beruf vernetzt zu sein und wo findet diese Vernetzung überhaupt statt?  

Isabelle Liber: Die Vernetzung unter Kolleg*innen spielt auf jeden Fall eine wichtige Rolle: Aufträge werden manchmal weitervermittelt, Empfehlungen ausgesprochen oder Zusammenarbeit angeboten. Die Vernetzung ist vielfältig, von Buchmessen zu Berufsverbänden über Stammtische, und manchmal auch unerwartet. Daher gilt es, offen zu bleiben und Vertrauen ins eigene Tun zu haben.

Claudia Hamm: Es gibt zahlreiche Ebenen, auf denen Vernetzung stattfindet. Da ist zum einen die Recherche. Oft übersetzen wir ja Dinge, mit denen wir uns zuvor weniger oder anders beschäftigt haben als die Autor*innen der Ausgangssprache. Wenn ich z.B. mit bestimmten Fachgebieten oder -jargons zu tun habe, kontaktiere ich Expert*innen dieser Materie – was übrigens selten honoriert wird. Dann gibt es die Vernetzung unter Kolleg*innen: Die Zunft hat sich Weiterbildungsangebote geschaffen, der Berufsverband fördert den regelmäßigen Austausch zu poetologischen und berufspolitischen Fragen, es gibt Übersetzerstammtische mit Textarbeit… Als Theatermacherin und Autorin interessiert mich außerdem der Austausch über das eigene künstlerische Medium hinaus: Lebendigkeit zum Beispiel ist ein Kriterium, das etwa bildende Künstler*innen und Musiker*innen genauso beschäftigt wie Schreibende, hier ergeben sich Netzwerke und manchmal Projekte durch gemeinsame Fragestellungen. Außerdem interessiert mich, wie man überhaupt über einen so intuitiven Prozess wie das Übersetzen und Schreiben sprechen kann. Wenn ich Vorträge halte, Essays darüber schreibe oder in Seminaren mit jungen Kolleg*innen arbeite, komme ich dem auf die Spur – dafür muss ich aber wiederum vernetzt sein, und es ergeben sich neue Kontakte. Und nicht zuletzt sind da die Beziehungen zu Autor*innen, Verlagshäusern und Menschen in den Ländern, aus deren Sprachen man übersetzt und deren Werke man zum Teil in deutsche Verlage zu vermitteln versucht.

Die Bedingungen für professionelle Literaturübersetzer*innen werden oft als prekär beschrieben, im Sinne von „schlechte Bezahlung“, „wenig Anerkennung“… Welche konkreten Maßnahmen schlagen Sie vor, um das nachhaltig zu ändern?

Isabelle Liber: Ich halte eine bessere Beteiligung am Buchverkauf für eine längst überfällige Maßnahme. In Québec etwa werden Übersetzer*innen schon ab dem 1. verkauften Exemplar am Gewinn beteiligt. Die Anerkennung der Übersetzer*innen hat sich in den letzten Jahren verbessert, und trotzdem: Ihr Name wird bei Erwähnung des Buches nicht immer genannt, oft wird bei einer Lesung nur der Autor oder die Autorin eingeladen usw. Es bedarf immer noch einer besseren Sichtbarkeit des Berufs.

Claudia Hamm: Das ist auch die erste Forderung, die ich stellen möchte: Übersetzernamen aufs Cover. Es ist in heutigen Zeiten weder moralisch zu verantworten, die Arbeit von Übersetzenden zu verwerten, ihnen aber die Sichtbarkeit zu verweigern, noch wird es den Leser*innen und Autor*innen gerecht. Übersetzungen können das Werk eines Autors, einer Autorin einer breiteren Leserschaft in höchster literarischer Qualität zugänglich machen, aber sie können es auch vernichten. Zu wissen, dass Leser*innen einen fremdsprachigen Text in der Stimme eines zweiten Autors, einer zweiten Autorin lesen, darauf haben sie m. E. ein Recht. Wenn der Name von Übersetzenden entsprechend aufgebaut wird, sind diese in ihren Ländern manchmal bekannter als neue Autor*innen und können für eine bestimmte literarische Qualität bürgen, hier berauben sich Verlage selbst eines Marketinginstruments.

Maßnahme 2: Wir brauchen ein Verbandsklagerecht, um von den ausbeuterischen, aber leider branchenüblichen Verhältnissen wegzukommen. Derzeit streiken Postbeamt*innen, die zwischen 2.100 und 3.000 € brutto verdienen, wegen Inflation und Kaufkraftverlust um 15% mehr Lohn. Literaturübersetzer*innen verdienen ca. 1.500 € brutto und müssen sich als Freiberufler*innen davon selbst versichern und für Alter und Krankheit vorsorgen. Das ist schlicht unmöglich. Wir brauchen insgesamt eine Erhöhung von Honoraren und Beteiligungen und einen flächendeckenden Kollektivvertrag, außerdem eine etwa zehnmal so hohe Bibliothekstantieme – die deutschen Bibliotheken stehen im europäischen Vergleich fast an letzter Stelle.

Maßnahme 3, und die ist komplex: Übersetzen ist eine eigene Form des Schreibens, ich würde sogar sagen: eine eigene literarische Gattung. Wir brauchen eine entsprechende Theorie, Literaturgeschichte und auch Literaturkritik. Noch kämpfen wir darum, dass Übersetzende überhaupt in allen Rezensionen genannt werden, nötig ist aber die Kompetenz, das Werk von Übersetzenden im Werk von Autor*innen überhaupt erkennen und beschreiben zu können. Wenn ich in einer Kritik vom Erzählsog oder dem zarten, lyrischen Ton einer übersetzten Autorin lese, schaue ich persönlich zuerst, wer das Buch übersetzt hat. Genau das kann nämlich beim nächsten Kollegen ganz anders aussehen. Es liegt in der Verantwortung der Kritiker*innen, die monate-, manchmal auch jahrelange Spracharbeit von Übersetzer*innen zu würdigen, zu kritisieren oder unter den Tisch zu kehren.

Inwiefern haben denn Literaturübersetzer*innen selbst Einfluss darauf, was auf dem Markt erscheinen wird?

Isabelle Liber: Es passiert zum Glück immer wieder, dass Bücher aus Initiative der Übersetzer*innen ihren Weg in das andere Land finden, und das ist ein großer Vorteil für die Vielfalt in der Literaturlandschaft. Man darf aber nicht vergessen, welcher Aufwand für Übersetzer*innen dahintersteckt. Wenn man z.B. das französische Finanzmodell für Künstler*innen der darstellenden Künste betrachtet, bei dem eine staatliche Mitfinanzierung als Ausgleich für die Zeiten ohne Beschäftigung vorgesehen ist, könnte man etwas Ähnliches für Übersetzer*innen überlegen, damit diese sich dieser entscheidenden Tätigkeit der Vermittlung widmen können.

Claudia Hamm: Literaturübersetzer*innen arbeiten oft in engem Kontakt mit den Verlagen. Gerade bei kleineren Verlagen, die keine eigenen Literaturscouts haben, sind sie oft wichtige Vermittler*innen, die Vorschläge überhaupt erst ins Haus bringen, aber auch für große Häuser gilt das, ich erinnere an den nicht unprominenten Fall "Rückkehr nach Reims" von Didier Eribon, ein Vorschlag eines Absolventen des Goldschmidt-Programms, Tobias Haberkorn. Bei sogenannten kleinen Sprachen, die in den Lektoraten nicht gesprochen werden, intensiviert sich diese Rolle noch um ein Vielfaches. Aber die Praxis zeigt, dass in der französischen Literatur auch noch viel zu entdecken ist, das noch nicht auf den Schreibtischen der Lektorate lag, dazu kommen Neuübersetzungen von älterer Literatur oder manchmal eben auch übersehene Schätze. Was dann davon erscheint, ist nicht selten der Überzeugungs- und dann natürlich der Übersetzungsarbeit dieser Expert*innen für die jeweilige Literatur und Kultur zu verdanken. Ich sehe aber das Problem, dass wegen der schlechten Voraussetzungen immer weniger junge Menschen diesen Beruf ergreifen wollen oder können. Im Goldschmidt-Programm haben wir inzwischen Schwierigkeiten, auf der französischen Seite genügend Teilnehmer*innen zu finden. Wenn man diesen Beruf nur mit einem gewissen finanziellen Polster ausüben kann, dann hat das auch Konsequenzen auf die soziokulturelle Zusammensetzung unserer Zunft und möglicherweise auf die Sprachwelten der Übersetzungen. Und vielleicht sogar auf internationale Beziehungen: Wenn weniger übersetzt wird, haben wir weniger Vorstellungen von den Lebenswelten anderer Länder.

Eine Frage noch zum deutsch-französischen Tandem: Große Namen wie Annie Ernaux, Michel Houellebecq oder Leila Slimani sind sehr gegenwärtig in Deutschland, oftmals über den literarischen Diskurs hinaus. Wie steht es eigentlich um die deutschsprachige Literatur in Frankreich?

Isabelle Liber: Leider eher schlecht. Das ist ein großes Problem. Während früher größere Verlage meistens jemanden im Haus hatte, der Deutsch konnte, ist diese Zeit vorbei, wie man es auch an den schlechten Zahlen des Deutschunterrichts in Frankreich sehen kann. Ich habe den Eindruck, dass im Moment eher kleinere Verlage offen für Projekte aus dem Deutschen sind. Das ist natürlich schon mal nicht schlecht, die Ansprechpartner*innen sind aber dadurch unübersichtlicher als früher und es gibt nicht so ein großes Auftragsvolumen. Umso wichtiger ist es, dass wir Übersetzer*innen aus dem Deutschen aktiv werden – und aktiv werden können. Ein gutes Beispiel für eine sinnvolle Unterstützung in diesem Sinn ist z.B. das Initiativ-Stipendium des Deutschen Übersetzerfonds, wodurch wir Zeit in ein Projekt investieren können, das wir dann bei Verlagen einreichen.

Claudia Hamm: Auch aus inhaltlichen Gründen gibt es in französischen Verlagen immer weniger Interesse an deutschsprachigen Büchern. Es herrschen Klischees vor, die stark auch von den politischen Diskursen der Nachkriegszeit geprägt sind. Frankreich pflegt ein Bild von Deutschland, in dem die Nazizeit eine große, aber z.B. die frühere Existenz der DDR kaum eine Rolle spielt. Umgekehrt wird in Deutschland auch wenig über die Militär- und Kolonialmacht Frankreich gesprochen, entsprechend wundern wir uns über Wahlergebnisse und soziale Spannungen dort … Kurz: Wir müssen dringend darum kämpfen, dass die kulturellen Beziehungen zwischen Frankreich und Deutschland nicht einschlafen.

Die Fragen stellten Iban Carrere und Katrin Hage, Frankfurter Buchmesse

 

 

Isabelle Liber

Nachdem sie Linguistik studiert, einen Studiengang deutscher und französischer Sprache und Literatur in Strasbourg und einen Master Verlagswesen an der Sorbonne abgeschlossen hatte, veröffentlichte Isabelle Liber 2002 ihre erste Übersetzung aus dem Deutschen bei Actes Sud. 2005 nahm sie selbst an dem Goldschmidt Programm teil.

Im Verlauf der Zeit ist ihre kleine „persönliche Bibliothek“ an Übersetzungen weiter gewachsen: Romane, Kurzgeschichten, Kunstbücher, Sachbücher, Jugendbücher … . Und viel will sie noch entdecken!

Claudia Hamm

Claudia Hamm fand über die Theaterregie an zahlreichen Bühnen in Frankreich, Italien und im deutschsprachigen Raum, das Schreiben von Essays und Theatertexten und lange Aufenthalte in Frankreich, Mexiko und Chile zum Literaturübersetzen.

Für ihre Übertragungen u.a. von Emmanuel Carrère, Joseph Andras, Édouard Levé, Mathias Énard, Ivan Jablonka und Nathalie Quintane war sie für den Übersetzerpreis der Leipziger Buchmesse und den Christoph-Martin-Wieland-Preis nominiert und erhielt den Preis des Kulturkreises der deutschen Wirtschaft. Sie ist Mitgründerin des Festivals translationale berlin und unterrichtete u.a. an der Akademie für Bildende Künste Wien, der Freien Universität Berlin, der Uni Göttingen und den Literaturinstituten Bern und Hildesheim.