„Wir haben nicht einmal ein Wort für ‚nicht behindert‘“
Was macht ein gutes Kinderbuch heute aus? Wie werden Geschichten für junge Leser*innen zeitgemäß erzählt? Und welche Rolle spielen dabei Inklusion und Diversität? Diese Fragen werden auf der Frankfurt Kids Conference „Transform diversity: Perspektiven und Netzwerke“ (Öffnet neues Fenster)auf der Frankfurter Buchmesse (19. - 23. Oktober 2022) diskutiert. Dazu ein Interview mit dessen Moderator und Kinderbuch-Experten Lawrence Schimel.
Wenn wir über Vielfalt sprechen, was bedeutet das eigentlich?
Obwohl die Welt an sich immer pluralistischer und vielfältiger wird, konzentriert sich das Verlagswesen leider weiterhin darauf, bestimmte Geschichten zu erzählen und zu fördern. In der Regel solche, in denen weiße, männliche, heterosexuelle, körperlich fähige (wir haben nicht einmal ein Wort für "nicht behindert", es wird als kultureller und sprachlicher blinder Fleck vorausgesetzt), christliche und Oberschicht-Charaktere und deren Leben und Abenteuer vorkommen.
Es ist äußerst wichtig, dass Kinder nicht nur sich selbst und ihre eigene Realität in Büchern widergespiegelt sehen. Andernfalls normalisieren Kinder diese "Abwesenheit" und halten das Leben der Menschen, die nicht in ihren Medien (Büchern, Zeichentrickfilmen, Fernsehsendungen usw.) vorkommen, nicht für wichtig oder erwähnenswert.
Warum ist es Ihrer Meinung nach immer noch wichtig, über Vielfalt in Kinderbüchern zu sprechen, hat die vielfältige Welt nicht schon längst Einzug in die Kinderbücher gehalten?
Das Cooperative Children's Book Center in Wisconsin analysiert Jahr für Jahr alle in den USA veröffentlichten Kinderbücher. Und sie veröffentlichten einen erstaunlichen Bericht, aus dem hervorging, dass Kinder eher über ein Tier lesen als über eine schwarze, lateinamerikanische, asiatische oder indigene Figur.
So kamen 2018 in 50 % der Bücher weiße Charaktere vor, in 27 % Tiere, in 10 % Afroamerikaner, in 7 % Asiaten, in 5 % Latinos und in nur 1 % indigene Charaktere.
Haben Sie ein Lieblingsbuch, das Ihrer Meinung nach die Vielfalt gut darstellt?
Ich denke, dass das Buch ALLES FAMILIE! von Alexandra Maxeiner und illustriert von Anke Kuhl (Klett Kinderbuch Verlag) ein sehr gutes Beispiel für ein Kinderbuch ist, das Vielfalt als integralen Bestandteil seiner Weltsicht beinhaltet. Und zwar nicht als nachträgliches Element, sondern von Anfang an und sowohl im Text als auch in den Illustrationen. Da das Buch mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis ausgezeichnet wurde, bin ich nicht der Einzige, der es so gelungen findet!
Herr Schimel, vielen Dank für das Gespräch!
Lawrence Schimel ist ein bilingualer (Spanisch/Englisch) Schriftsteller und literarischer Übersetzer mit Sitz in Madrid. Er hat über 120 Bücher in vielen verschiedenen Genres und für Leser aller Altersgruppen veröffentlicht. Seine Kinderbücher über gleichgeschlechtliche Familien „Bedtime, Not Playtime!“ und „Early One Morning“ wurden weltweit in 48 Ausgaben in 37 Sprachen veröffentlicht.
Transform diversity: Perspektiven und Netzwerke durch die neue Konferenz für Kinder-und Jugendmedien der Frankfurter Buchmesse
Wann: Mi, 19. Oktober 2022, 9.15 — 12.00 Uhr, Einlass ab 9.00 Uhr
Wo: Congress Center Ebene 3, Konferenzraum Illusion
Sprache: Englisch
Tickets: https://www.buchmesse.de/frankfurt-kids(Öffnet neues Fenster)