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German Stories_Thessaloniki2021

© Christian Ruzicska (©Mathias Bothor), Christoph Hassenzahl (©privat), Niki Théron (© Nurettin Cicek)

Die Buchmesse in Thessaloniki blickt bereits auf eine 17-jährige Geschichte zurück. Seither ist sie ein wichtiger Treffpunkt für Verleger*innen, Autor*innen, Übersetzer*innen, Literaturagent*innen, Buchhändler*innen, Bibliothekar*innen, Wissenschaftler*innen und Institutionen für Bücher und Literatur aus Griechenland, dem Balkan, Westeuropa, dem südöstlichen Mittelmeerraum und aus der ganzen Welt.

Die deutschsprachige Literatur steht in diesem Jahr im Mittelpunkt der Buchmesse Thessaloniki (25.-28. November 2021). Die Frankfurter Buchmesse, das Goethe-Institut und Litrix.de und die Griechische Kulturstiftung haben den Ehrengastauftritt der Deutschsprachigen Literatur gemeinsam entwickelt und ein hybrides Programm zusammengestellt. Unter dem Motto „Let’s Talk“ werden zahlreiche deutschsprachige Autor*innen gemeinsam mit griechischen Kolleg*innen vor Ort auftreten und so den Dialog, das Networking und den Austausch gemeinsam fördern. Abgerundet wird das Programm durch digitale Vorträge deutscher und griechischer Expert*innen zu den Themen "Neue Geschäftsmodelle" und "Buchdesign als Kunstform".

Die Deutsche Welle und die Verlage Arena, Beltz & Gelberg, Carlsen, Cbj / Penguin Random House, Ellermann Verlag, Oetinger, Finken Verlag, Fischer Kinder- und Jugendbuchverlag, Jungbrunnen, Kosmos Verlag, Hanser, Loewe, Migo Verlag, Penguin Junior, Penguin Random House, Ravensburger, Sauerländer, Schweizerbart Bornträger, Suhrkamp, Tessloff sowie über 25 unabhängige Verlage der Kurt Wolff-Stiftung präsentieren ihre Titel am deutschen Gemeinschaftsstand.

Wir haben mit Niki Théron, Senior Manager International Projects bei der Frankfurter Buchmesse, Christoph Hassenzahl, Senior Rights Manager beim Suhrkamp Verlag/Insel Verlag und Christian Ruzicska, Verleger des Secession Verlags für Literatur, darüber gesprochen, mit welchen Erwartungen sie die Buchmesse in Thessaloniki besuchen werden und worauf sich das Publikum freuen kann.

 

Niki Théron, Senior Manager International Projects, Frankfurter Buchmesse

Der eigentlich für 2020 geplante Gastlandauftritt der Frankfurter Buchmesse auf der Buchmesse Thessaloniki findet nun Ende November 2021 vor Ort statt. Wie groß ist die Vorfreude?
Nach zwei Jahren intensiver Vorbereitungen, der Umwandlung des ursprünglichen Auftrittes in digitale Formate und der langen Auszeit von Reisen zu Auslandsmessen ist die Vorfreude auf den Ehrengastauftritt in Thessaloniki vom 25. bis zum 28. November einfach riesig!

Wie laufen die Vorbereitungen? Worauf können wir uns freuen?
Die Vorbereitungen laufen sehr gut. Wir sind in enger Absprache mit unseren Hauptpartnern, dem Goethe-Institut, Litrix.de und der Griechischen Kulturstiftung und einer Fülle an weiteren griechischen und deutschen Partnern – Stiftungen, Museen, Verlagen und Institutionen. Wir sind ein deutsch-griechisch-französisches Team voller Herzblut und Power.

Die Besucher*innen können sich freuen auf ein spannendes und buntes Ehrengastprogramm mit Ausstellungen, Autor*innen und Verleger*innengesprächen und Workshops vor Ort.

Thessaloniki ist die griechische Hochburg der Kreativen und wir haben im Bereich Kreativindustrie den Schwerpunkt auf Buchdesign gelegt: wir bieten Events und Workshops an, und rufen zusammen mit dem Goethe-Institut, der Griechischen Kulturstiftung, der Stiftung Buchkunst, der Design-Organisation EBGE und MOMus einen Nachwuchs-Wettbewerb, der ab 2022 exzellente junge Buchdesigner*innen und Verleger*innen auszeichnen wird, aus.

Schön ist auch, dass Verlagsleute, Autor*innen und Designer*innen aus der ganzen Welt auch schon vor der Messe an zwei Online-Events mit inspirierenden Sprecher*nnen zum Thema „New Business Models & Innovative Storytelling“ am 16. November und „Book Design: Best Practice & Visual Storytelling“ am 18. November teilnehmen können.

Was werden die konkreten Themen sein, die der deutsche Gastlandauftritt setzen möchte?
Unser Motto lautet „Let’s Talk!“ und es ist der rote Faden dieses Ehrengastauftrittes. Wir möchten bei allen Veranstaltungsformaten mit den griechischen Verlagen, Autor*innen, Übersetzer*innen, Buchdesigner*innen, Kulturschaffenden und natürlich auch Leser*innen in Dialog treten und dazu beitragen, die gegenseitigen Klischees zu überwinden. Deutschland und Griechenland verbindet eine Jahrhunderte alte gemeinsame Geschichte, die zum Teil tragisch war. Die digitale Ausstellung des Goethe-Institut Thessaloniki „Gespaltene Erinnerungen“ thematisiert zum Beispiel traumatische Erlebnisse der deutsch-griechischen Geschichte der 1940er Jahre.

Wir wollen aber auch über die Welt von heute in Dialog treten, und gemeinsam mit tollen Denker*innen wie der Journalistin Julia Friedrichs („Working Class“), der Philosophin Eva von Redecker („Revolution für das Leben“), dem Historiker Dr. Andreas Kossert („Flucht. Eine Menschheitsgeschichte“) und den Autor*innen Bettina Wilpert („Nichts, was uns passiert“) und Bijan Moini („Der Würfel“) so vielfältige Themen besprechen wie Arbeit und Armut, neue Protestformen für ein besseres Leben, Migration, den Umgang mit sexueller Gewalt und die Art und Weise, wie Algorithmen und KI unsere Leben beeinflussen.

Wir freuen uns sehr, dass die Schriftstellerin und Buchdesignerin Judith Schalansky anlässlich der griechischen Veröffentlichung ihres „Verzeichnis einiger Verluste“ unsere Einladung nach Thessaloniki angenommen hat sowie die großartige satirische Autorin und Cartoonistin Stefanie Sargnagel („Dicht“).

Schließlich wird die erfolgreiche Kinderbuchautorin Margit Auer in Thessaloniki ihre „Schule der magischen Tiere“ präsentieren, die gerade in Deutschland verfilmt wurde.

Ist die Buchmesse Thessaloniki eher auf das Fachpublikum oder auf das Privatpublikum ausgerichtet? Welche Besucher*innen sind zu erwarten?
Die Buchmesse in Thessaloniki ist eine beliebte Publikumsmesse und 2021 mehr denn je ein sehr wichtiger Treffpunkt für die griechische Buchbranche. Die zahlreichen Gespräche, die wir in Athen und Frankfurt im Vorfeld des Auftrittes führen konnten, haben gezeigt, dass das Interesse der griechischen Verlage und Kulturinstitutionen am Austausch mit deutschen Kolleg*innen sehr groß ist, und wir freuen uns darauf, uns miteinander zu vernetzen.

 

Christoph Hassenzahl, Senior Rights Manager, Suhrkamp Verlag / Insel Verlag

Wie sehr freuen Sie sich darauf – nach so langer Zeit – endlich wieder an einer Buchmesse im Ausland teilzunehmen?
Die Vorfreude auf die persönlichen Begegnungen und die positiven Dynamiken einer Präsenzmesse ist selbstverständlich groß! Vor einem Monat konnte ich mich während einer Woche Verlagsbesuchen in Paris vergewissern, dass – trotz aller Annehmlichkeiten der zusätzlichen Verfügbarkeit digitaler Instrumente – nichts den Austausch vor Ort, die besondere Intensität des Gespräches in einem gemeinsamen, kulturell konnotierten Raum wie Verlag, Buchhandlung, Messe oder Veranstaltungsbühne ersetzt und wie viel zuversichtlicher der Dialog über Inhalte unter diesen Rahmenbedingungen stattfindet. Begegnungen in Präsenz, insbesondere auf internationalen Buchmessen, sind für die Lizenzvermittlung unerlässlich!

Wie wichtig ist der griechische Markt für Deutschland bzw. wie sehr können die beiden Märkte voneinander profitieren?
Der griechische Buchmarkt hat in besonderem Maße unter den Einschnitten der vergangenen anderthalb Jahrzehnte gelitten. Das Bekenntnis der griechischen Verlage zur Teilnahme am internationalen Dialog über Literatur und Wissenschaft war dabei ungebrochen, obwohl insbesondere die kostenintensive Arbeit mit übersetzten Büchern stark von der Vitalität eines Buchmarktes und der Kaufkraft des Publikums abhängt. Dass selbst die abermaligen Rückschläge durch die Pandemie die Entdeckungsfreude der griechischen Verlagshäuser und den Mut der Programmverantwortlichen nicht gebrochen haben, gibt Anlass zu Optimismus in diesen krisenhaften Zeiten.

Mit welchem Ziel nehmen Sie als Vertreter des Suhrkamp Verlags an dem deutschen Gastlandauftritt teil? Was sind Ihre Erwartungen?
Wie immer für die Abteilung Rechte und Lizenzen bei Suhrkamp liegt der Fokus auf der langfristigen internationalen Begleitung unserer Autor*innen und der Fortsetzung der Vermittlung ihrer Werke sowie der Vorstellung neuer Stimmen. Ich freue mich zum einen darauf, auf der Messe die Ergebnisse der Gespräche der letzten Jahre vertreten zu sehen, beispielsweise die jüngst erschienenen griechischen Ausgaben von Judith Schalanskys „Verzeichnis einiger Verluste“ (Antipodes), Clemens J. Setz‘ „Der Trost runder Dinge“ (Gutenberg) oder Sasha Marianna Salzmanns „Außer sich“ (Patakis). Zum anderen möchte ich die griechischen Verlage für die Werke unseres reichen Herbstprogrammes begeistern, z.B. die neuen Bücher von Svenja Leiber, Emine Sevgi Özdamar, Andreas Pflüger, Natasha Strobl oder Stephan Thome, um nur einige zu nennen. Und wer weiß, vielleicht findet sich sogar endlich ein griechischer Verlag für Uwe Johnsons „Jahrestage“.

Wie wichtig ist die Präsenz von deutschen Verlagen und deutschen Stimmen auf verschiedenen internationalen Buchmessen?
Internationale Verlage weltweit übersetzen heute selbstverständlicher als noch vor zwanzig Jahren Literatur, Sachbücher, Kinderbücher oder Geisteswissenschaften aus dutzenden von Sprachen. Dementsprechend schwindet die Anzahl potenziell verfügbarer Programmplätze für Übersetzungen auch aus dem Deutschen. Die enorme Vielfalt der deutschsprachigen Buchproduktion und das breite Angebot verfügbarer Rechte wird an einem internationalen Gemeinschaftsstand besonders sichtbar. Internationale Buchmessen sind unverzichtbare Orientierungspunkte insbesondere im globalen Lizenzhandel und schaffen die bestmögliche Atmosphäre für eine Vielzahl konzentrierter Gespräche, aus denen die übersetzten Bücher hervorgehen, die in den Folgejahren in den Buchhandlungen stehen. Daneben benötigen die lizenznehmenden Verlage in den jeweiligen Zielländern die unterstützende Bündelung medialer Aufmerksamkeit, wie sie durch einen Gastlandauftritt entsteht, und ist der Auftritt von übersetzten Autor*innen auf Messen ein häufig unerlässliches Instrument, ihre Werke beim jeweiligen Publikum bekanntzumachen. Internationale Buchmessen sind unverzichtbar zur Sicherstellung des fortgesetzten, nicht nur kulturellen Dialogs zwischen den Sprachen und Staaten.

 

Christian Ruzicska, Verleger, Secession Verlag für Literatur

Die Kurt Wolff-Stiftung ist Teil des Gastlandauftritts der deutschsprachigen Literatur auf der Buchmesse in Thessaloniki. Insgesamt werden 26 Indie-Verlage bei diesem Gastlandauftritt vertreten sein. Wie kommt es zu diesem starken Interesse auf dem griechischen Markt sich so stark zu präsentieren?
Ich kann natürlich nicht für alle anderen unabhängigen Verlage sprechen, aber ich denke, dass sich die gewiss unterschiedlichen Beweggründe zu dieser Entscheidung, in Thessaloniki präsent zu sein, in bestimmten Punkten überschneiden. Es ist gerade für die unabhängigen und damit ja meist kleineren Verlage ein ganz wichtiger Faktor, in persönlichen Gesprächen und durch individuelle Erfahrungen auf Literaturen zu stoßen, die ihre ganz eigenen Qualitäten aufweisen und im besten Falle etwas erzählen, das den eigenen Blickwinkel verändern kann. Mit Büchern, die dieses Kriterium erfüllen, erfüllen wir dann wiederum eine in meinen Augen sehr wichtige gesellschaftliche Funktion, nämlich auf künstlerischer Ebene Denkanstöße und, ich möchte es betonen, Anstöße für ein fühlendes Wahrnehmen anzubieten. Wenn es uns gelingt, den Lesern Bücher zu präsentieren, die sich in ihrem Stil, ihrer Art, Geschichten zu erzählen, und in der Qualität ihrer Sprache von so etwas wie dem sogenannten Mainstream – ich mag dieses Wort nicht, aber nun gut – abheben, dann können wir unseren Lesern etwas beinahe Unbezahlbares mit auf dem Weg geben: Eine Berührung mit dem Esprit eines Buches auf der Ebene des Fühlens und Denkens, ein mögliches Abgleichen mit den eigenen Erfahrungen, und im besten Fall eine Veränderung in der Wahrnehmung, die sich auf viele Dinge auswirken kann. Für mich ist das eines der wichtigsten Momente des Lesens von Literatur: Ich bin nach der Lektüre ein anderer, und wenn diese Veränderung ein fruchtbarer Vorgang ist, dann bin ich um eine ihm wichtige Erfahrung reicher geworden, weil ich etwas ganz Bestimmtes begriffen habe, das mir über das Schicksal der Figuren, mit denen ich vielleicht über mehrere Hundert Seiten eine gemeinsame Zeit verbracht habe, vermittelt werden konnte.

Umgekehrt wiederum, hegen wir natürlich auch die Hoffnung, unsere eigenen Bücher den griechischen Verlagen präsentieren zu können, mit dem Ziel, auch unsere Perspektiven auf unsere Zeit durch die Vermittlung in eine andere Kultur welthaltiger zu gestalten. Ein übersetztes Buch wird meines Erachtens tatsächlich dadurch vollkommener, dass es in einer anderen Sprache andere Schattierungen entfalten kann, es lebt, weil es sich, und mag das auch nur minimal geschehen, durch die Zielsprache, in die es übersetzt wird, verändert. Ich denke, dass dieser Aspekt für den innereuropäischen Kulturraum ausgesprochen wichtig ist. Umso schöner, dass wir nun die Chance haben, eine Literaturlandschaft entdecken zu können, deren Gegenwart hierzulande, in den deutschsprachigen Ländern, kaum bekannt ist.

Was sind die Schwerpunkte?
Ich vermute, dass es neben dem wechselseitigen Entdecken der jeweiligen Literaturen auch darum gehen wird, Erfahrungen des Umgangs mit den Einwirkungen der Geschehnisse aus der jüngsten Zeit auszutauschen. Fragen etwa, wie sich der Markt für die unabhängigen Verlage in europäischen Ländern entwickelt, oder wie die aktuellen Diskurse, die in den Medien am meisten Platz einnehmen, die Wahrnehmung von überzeitlichen Inhalten überlagern, und damit also auch die Frage, wie wir diese dennoch kommunizieren können, und gewiss wird auch die große Frage im Raum stehen, welche Zukunft wir unabhängigen Verlage haben und wie wir diese gestalten können, welche Möglichkeiten wir sehen. Auf all diesen Feldern ist ein persönlicher Austausch ausgesprochen wichtig und kann helfen, dort hinzuzulernen, wo andere bereits Erfahrungen gemacht haben.

Worauf freuen Sie sich am meisten?
Tatsächlich wie bei jeder Messe auf die Menschen, die ich kennen lernen darf.

Wie wichtig ist die Literatur aus Griechenland, dem Balkan und dem südöstlichen Mittelmeerraum für den deutschsprachigen Markt, und besonders für Sie als Verleger?
Wichtig ist für mich zunächst einmal nur die Möglichkeit, diese Literaturen zu entdecken. Ganz grundsätzlich gilt, dass ich neugierig bin, fast schon hungrig, auf etwas zu stoßen, das mich fasziniert, und von dem ich glaube, dass ich es sehr gern vielen anderen Menschen ermögliche möchte, ebenfalls Berührung damit zu haben.

Und ein wenig politischer gesprochen: Je mehr Literatur wie aus den unterschiedlichen europäischen Ländern in unsere jeweiligen Sprachen übersetzen, desto größer wird die Neugierde auf diese Kulturen aber auch das Verständnis für diese Kulturen sein. Mir ist es etwa in den letzten beiden Jahren mit Polen so ergangen, wo ich den Autor Jakub Małecki kennen lernen durfte, dessen Romane mir etwas über unser Nachbarland vermittelt haben, das ich zuvor nicht so oder besser, nicht in dieser Intensität des Fühlens und Verstehens, vor Augen hatte. Ich reise nach der Lektüre seiner Romane ganz sicher mit anderen Augen in dieses Land. Und diese Erfahrung ist sehr wertvoll. Wenn wir nun den Blick auf die von Ihnen angesprochenen Länder richten, dann werde ich sicherlich nicht falsch liegen, wenn ich behaupte, dass nur ein Bruchteil unserer Leser die inneren kulturellen Zusammenhänge dieser Regionen und Länder kennt, ganz im Gegenteil zu den Ländern wie Frankreich oder England, dessen Literatur bei uns eine sehr gute und inzwischen sehr alte Tradition hat! Und für die Vermittlung, und ich denke, unter diesem Begriff lässt sich unsere Arbeit insgesamt zusammenfassen, ist die Presse hierzulande ebenso von unschätzbarer Wichtigkeit, um in unserer Gesellschaft Neugierde, Wissen und Erfahrung zu mehren. Ich freue mich auf diese Reise!