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© Gesine Laura Hennig

© Gesine Laura Hennig

Tatjana Prenzel hat in kürzester Zeit geschafft, wovon viele träumen: Die Zeichnungen der jungen Frankfurter Illustratorin erscheinen im New Yorker und in der New York Times. Ein Gespräch darüber, wie wichtig beim Zeichnen das Weglassen ist, und warum man mit Stift und Papier besser denken kann. Von Kathrin Grün

Sie illustriert Tanzperformances für den New Yorker und Buchrezensionen für die New York Times. Sie zeichnet exklusive Hotelressorts für die Zeitschriften Relais & Chateaux und Papier Magazin, gestaltet Buchcover für Penguin Random House USA oder Wandgemälde für einen Brillenladen in den USA. Im Sommer 2019 erhielt sie einen Lehrauftrag an der Hochschule für angewandte Wissenschaften in Würzburg. Tatjana Prenzel hat in kürzester Zeit geschafft, wovon viele Illustratorinnen träumen: Seitdem sie im Frühsommer 2018 ihre Diplomarbeit an der Hochschule für Gestaltung Offenbach beendet hat, häufen sich die Anfragen bei der Wahl-Frankfurterin.

Auf die Frage, ob sie sich nach dem Studium auf einen bestimmten Bereich spezialisiert hat, sagt Tatjana Prenzel: „Ich hätte vor einem Jahr nicht gedacht, dass ich für die New York Times arbeiten würde, und bin ziemlich überwältigt davon, dass es dazu kam. Der Bereich des Editorial (Magazinillustration) hat mich schon immer sehr interessiert. Ich denke, es ist gerade am Anfang wichtig, offen zu sein für Aufträge. Im Bereich Buchgestaltung und Coverdesign würde ich gern noch mehr machen. Mich interessiert, wie man eine Geschichte in Bildern erzählt, wie sie aufgebaut sind, wieviel man weglassen kann, um die Imagination anzuregen.“

Eine Affinität zu Büchern hatte Tatjana Prenzel schon immer. Die 28-jährige Illustratorin besitzt mittlerweile eine ziemlich große Sammlung von internationalen Bilderbüchern und hat während eines Auslandssemesters an der HEAR — Haute ecole des arts du Rhin in Straßburg selber zwei gestaltet.

Illustrationen nicht einfach neben den Text zu setzen, sondern neue Wege zu gehen, ist ihr ein Anliegen. Für ihre Abschlussarbeit an der HFG Offenbach illustrierte Tatjana Prenzel drei Short stories des amerikanischen Erzählers Raymond Carver: „Carvers Kurzgeschichten faszinieren mich, weil sie so bildreich geschrieben sind. Bei solchen Texten stellt sich die Frage: Was kann eine Illustration zum Text beitragen, wie kann sie ihn ergänzen? Ich habe mich entschieden, räumlich zu arbeiten. Alle drei Geschichten sind auf unterschiedliche Materialitäten gezeichnet, die auf die drei Geschichten abgestimmt waren. ‘Gazebo’ habe ich auf Papier gezeichnet, da sie von etwas Fragilem handelt. Die Illustrationen zu ‘Little Things’ habe ich auf Holz gezeichnet, beides mit Buntstift. In dieser wurde eine Entscheidung gefällt, die so hart und entscheidend war, wie Holz eben. Die dritte, ‘I Could See The Smallest Things’, habe ich mit Bleistift direkt auf die Wand gezeichnet: Dort sollten die Bilder besonders eindringlich und auf Augenhöhe mit dem Betrachter sein.”

Die Arbeiten hat Tatjana Prenzel so gehängt, dass nicht mehr ersichtlich war, welches Bild zu welcher Geschichte gehörte. “Dadurch ist eine vierte Erzählung entstanden — die abhängig ist von der Perspektive der Betrachterin, des Betrachters”, erklärt sie. “Ergänzt wurde die Arbeit durch drei im Raum stehende Holzfiguren, die Charaktere aus den Geschichten darstellten.“ Die Abschlussarbeit, für die Tatjana Prenzel mit dem Preis der Fazit-Stiftung ausgezeichnet wurde, markierte einen Wendepunkt: „Wir haben ein Jahr Zeit für das Diplom, und während dieser intensiven Arbeit hat sich mein Stil entwickelt, die Art, wie ich zeichne.“

Sie arbeitet mit Buntstiften auf Papier. In leuchtenden Farben gehalten, wirken ihre Arbeiten niemals grell. Die Illustrationen leben von harten Kontrasten — etwa bei der Darstellung von Licht und Schatten –, und wirken dennoch intensiv und sanft, was an der hohen Pigmentierung der Stifte liegt. Tatjana Prenzels Figuren sind voluminös und dennoch schwebend. „Mich interessiert, wie man Atmosphäre in ein Bild bringen kann. Darum geht es mir — eine bestimmte Stimmung festzuhalten.“ Diese Stimmung — eine Mischung aus Melancholie und Ennui, aus Abwesenheit und Veträumtheit, zeichnet die Arbeiten von Tatjana Prenzel aus — und treffen das Lebensgefühl einer Generation von jungen Kosmopoliten.

Als der britische Blog „It’s nice that“ Tatjana Prenzels Abschlussarbeit vorstellte, war das so etwas wie die Eintrittskarte in die Welt des Editorials: Die Art Directoren der New York Times vom New Yorker wurden auf die junge Künstlerin aufmerksam. Tatjana Prenzels Veröffentlichungen in zwei der meistgelesen Publikationen der Millionenmetropole zogen weitere Aufträge nach sich. Sicher eine Genugtuung für die Absolventin, die während des Studiums wie tausende andere Illustratoren auf die Kinderbuchmesse nach Bologna fuhr und sich dort in die Schlangen an den Verlagsständen einreihte, um ihre Mappe den Programmverantwortlichen zu präsentieren.

Ein Account bei Instagram, eine Homepage und keine Angst vor dem Klinkenputzen — das sind, neben dem handwerklichem Können, wichtige Voraussetzungen für den gelungenen Start einer Illustratorenkarriere. Anfangs musste Tatjana Prenzel ihre Zurückhaltung überwinden, um Art Directoren anzusprechen. „Ich hatte das Gefühl, dass mein Portfolio noch nicht aussagekräftig genug war. Dass sie sich nicht vorstellen konnten, was sie mit mir machen können.“ Diese Sorge ist mittlerweile unbegründet — die Liste der Auftraggeber wächst und wächst.

Als Penguin Random House sie beauftragt hat, das Cover für Emma Straubs Roman All Adults Here zu gestalten, ging ein Wunsch in Erfüllung. Für das Buchcover hatte sie ein paar Wochen Zeit, und weil das Briefing „florale Gestaltung“ vorgab, fertigte Tatjana Prenzel Studien von Mohnkapseln, Hibiskusblüten oder Chrysanthemen an. Dann entdeckte die Autorin Emma Straub die anderen Arbeiten von Tatjana Prenzel und wünschte sich ein figuratives Cover — jetzt sind die vier Hauptfiguren darauf gebildet, die sich übereinander lagern und ineinander spiegeln.

„Das, was erzählt werden will, ist immer wichtiger, als das wie“, sagt Tatjana Prenzel. Auf die Frage, wie sich Kunst und handwerkliches Können ergänzen, erklärt sie: „Das Wichtigste zu Beginn ist immer das Künstlerische und die Idee, die aber ohne das Handwerk nicht umgesetzt werden kann. Das eine funktioniert nicht ohne das andere und beides unterstützt und ergänzt sich. Das Handwerk ist wichtig, um sich ausdrücken zu können; jedoch ist ein handwerklich gute Zeichnung langweilig, wenn ihr die künstlerische Idee fehlt.“