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Übersetzerin Alexandra Roesch

© privat

Von Alexandra Roesch

Der Besuch von Buchmessen ist für die meisten Übersetzer*innen nichts, das ihnen von Natur aus liegt. Denn normalerweise verbringen wir die meiste Zeit zurückgezogen mit unseren Laptops, Wörterbüchern und möglicherweise einem Haustier, vertieft in unsere Übersetzungsprojekte. Irgendwann kommt jedoch der Punkt, an dem es notwendig wird, sich in die große weite Welt der Buchmessen zu wagen.  

Übergang auf den Kontinent

Für uns Deutsch-Englisch Übersetzer*innen ist die London Book Fair (LBF) hierfür ein guter Ausgangspunkt. Der ikonische Veranstaltungsort Olympia ist zwar nicht gerade klein, aber sobald man sich einmal zurechtgefunden hat, fühlt man sich dort relativ wohl. Das Literary Translation Centre bietet wunderbare Gelegenheiten, Kontakte zu knüpfen und sich mit anderen Übersetzer*innen auszutauschen. Bei sorgfältiger Planung können Sie vielleicht ein paar Treffen mit britischen Lektor*innen arrangieren und ihnen Ihre Übersetzungsidee vorstellen. Was Sie auf der LBF jedoch kaum finden werden, sind Stände der einzelnen deutschen Verlage.

Der Gemeinschaftsstand, an dem sich in London die deutschsprachigen Verlage präsentieren, leistet auf der LBF hervorragende Arbeit, indem er eine kuratierte Auswahl schweizerischer, österreichischer und deutscher Titel sowie die entsprechenden Organisationen für Fördermittel vorstellt. Wer aber wirklich in die deutsche Buchszene eintauchen möchte, sollte einen Besuch auf der Frankfurter Buchmesse (FBM) in Betracht ziehen.

Nahezu jeder deutsche, schweizerische und österreichische Verlag, angefangen von den Verlagsriesen bis hin zu den kleinen Indie-Häusern, stellt in Frankfurt aus. Diese umfassende Präsenz bietet Übersetzer*innen eine einzigartige Gelegenheit, sich einen Überblick über das deutsche Verlagswesen zu verschaffen und mit den Rechte- und Lizenzmanagerinnen dieser Verlage in Kontakt zu treten. Einige von Ihnen werden bereits Kontakte zu ihnen geknüpft haben. Viele Rechte- und Lizenzmanager*innen sind zwar auch auf der LBF vertreten, doch in London geht es ihnen in erster Linie um die Vermarktung ihrer eigenen Titel, was dazu führt, dass sie nur begrenzt für Treffen mit Übersetzer*innen zu Verfügung stehen. Im Gegensatz dazu haben sie auf der FBM mehr Zeit und führen ihre Besprechungen oft an ihren jeweiligen Ständen durch, so dass es gelegentlich möglich ist, sich auch ohne einen geplanten Termin kurz vorzustellen.  

Die Unterschiede anerkennen

Während sich die LBF vor allem auf das Vereinigte Königreich und das englischsprachige Verlagswesen konzentriert, ist die Frankfurter Buchmesse internationaler ausgerichtet und setzt den Schwerpunkt auf den Kauf und Verkauf von Übersetzungsrechten und Lizenzvereinbarungen. So entsteht der Eindruck, dass sie in diesem Bereich etwas geschäftsorientierter ist.  

Der wahre Unterschied zwischen den beiden Messen liegt jedoch in der schieren Größe der Messe in Frankfurt. Im Jahr 2022 zählte die LBF knapp 1.000 Aussteller in ihren beiden Hallen, während die FBM wieder auf 4.000 Aussteller aus 95 Ländern in vier Hallen angewachsen war. Dieses Jahr werden 11 Hallenebenen bespielt werden.  Machen Sie sich also auf das überwältigende Ausmaß dieser Buchmesse gefasst, in den Zeiten vor der Pandemie zog Frankfurt mehr als 7.400 Aussteller an.

Eine große Ansammlung von Menschen auf der Freifläche zwischen den Messehallen

Ähnlich wie die London Book Fair sieht auch die Frankfurter Messe exklusive Fachbesuchertage vor, gefolgt vom Wochenende , die dem allgemeinen Publikum offenstehen (dieses Jahr darf das Publikum ab dem Freitragnachmittag auf das Gelände). Die Publikumstage bieten Verleger*innen, Autor*innen und Aussteller*innen eine großartige Gelegenheit, direkt mit potenziellen Leser*innen und Buchkäufer*innen in Kontakt zu treten, und es ist erwähnenswert, dass Bücher an diesen Tagen vor Ort gekauft werden können.

Lassen Sie sich von den eben genannten Zahlen nicht abschrecken, denn in typisch deutscher Manier herrscht akribische Organisation. Das klingt zwar ein wenig herausfordernd, aber wenn Sie im Voraus planen,  gibt es keine unüberwindbaren Hindernisse.

Was Sie erwartet, wenn Sie hier ankommen

Die meisten Menschen, auch ich, als ich vor vielen Jahren aus London hierher (nach Frankfurt) zog, neigen dazu, die Größe Frankfurts zu überschätzen. Um eine Veranstaltung oder ein Restaurant „südlich des Flusses“ zu besuchen, braucht man nur zehn Minuten mit dem Fahrrad oder drei Stationen mit der S-Bahn. Tatsächlich benötigt man kaum mehr als 20 Minuten, um von einem Ende der Stadt zum anderen zu gelangen. Wenn Sie sich also entscheiden, zur FBM zu kommen, wird es kein Problem sein, sich in der Stadt zurechtzufinden.

Die Messe Frankfurt, in der sich der Zauber entfaltet, befindet sich im westlichen Teil der Stadt, der in den letzten Jahren stark ausgebaut wurde. Sie liegt verkehrsgünstig unweit des Hauptbahnhofs und des historischen Stadtzentrum. Die Messe ist leicht an ihrem architektonischen Wahrzeichen und ikonischem Symbol zu erkennen, dem Messeturm, einem bleistiftförmigen Wolkenkratzer mit einer Höhe von 257 Metern. Die Messe ist von einer Vielzahl großer neuer Hotels, Apartmentgebäuden und Einkaufszentren umgeben, was sie zu einem praktischen und attraktiven Aufenthaltsort für Ihren Besuch macht.  

Die Ausstellungshallen selbst sind nach Ländern angeordnet, so dass Sie gezielt navigieren können. So ist die Halle 3 das Zentrum des deutschen Verlagswesens, wobei die deutschen Verlage je nach Größe und Schwerpunkt mehrere Etagen belegen. Die meisten englischsprachigen Verlage und das internationale Literary Agents and Scouts Centre (LitAg) finden Sie in Halle 6. Im Jahr 2022 verfügte das LitAg über 450 Tische, also deutlich größer als auf der LBF. Denken Sie bei der Planung Ihrer Treffen daran, dass Sie gegebenenfalls mehrere Rolltreppen benutzen, sich auf den Gängen fortbewegen und von einer Halle in eine andere wechseln müssen. Arrangieren Sie Ihre Treffen also nicht unmittelbar hintereinander, denn Sie müssen etwa 10 Minuten Zeit einplanen, um von einem Ort zum nächsten zu gelangen. 

Einer der Vorteile der Größe der FBM ist die Fülle an Raum, der abseits der belebten Ausstellungsflächen zur Verfügung steht und in dem man sich von der literarischen Hektik erholen kann. Sie finden diese Orte entweder innerhalb den Hallen – in der Nähe der Eingänge zu den eigentlichen Ausstellungsflächen – oder im Freien. Die FBM verfügt über einen weitläufigen Außenbereich, die so genannte Agora, die einen Innenhof bildet und die verschiedenen Hallen miteinander verbindet. Anstatt sich durch die labyrinthartigen Gehwege und Rolltreppen zu bewegen, die sich bei stundenlanger Erkundung scheinbar endlos in die Länge ziehen, können Sie Ihren Weg zwischen den Hallen auch im Freien zurücklegen und dabei die herrliche Herbstsonne genießen, wenn Sie Glück haben. Die Agora bietet eine Vielzahl von Annehmlichkeiten, darunter Food- und Coffee-Trucks, Sitzgelegenheiten im Freien und Pavillons, in denen literarische Veranstaltungen stattfinden. Es ist großartig, zwischen den offiziellen Treffen nach draußen zu gehen und eine Pause vom Lärm und den Lichtern zu machen, ohne die Messe selbst zu verlassen. Das ist definitiv einer  meiner persönlichen Höhepunkte, die die FBM zu bieten hat.

Orte und Veranstaltungen

Wie die LBF verfügt auch die FBM über ein eigenes Übersetzungszentrum, das Internationale Zentrum für Übersetzung. Dies ist ein spezieller Ort für Übersetzer*innen aus der ganzen Welt, der eine Bühne und einen Networking-Bereich bietet. Das Zentrum wird von der FBM und dem Verband deutschsprachiger Übersetzer (VdÜ) in Zusammenarbeit mit Partnern wie dem Goethe-Institut, Litprom, ENLIT und anderen organisiert und bietet an allen Messetagen verschiedene Veranstaltungen zum Thema literarische Übersetzung. Im Jahr 2022 fanden 30 Veranstaltungen statt, an denen rund 1.500 Personen teilnahmen. Das Übersetzungszentrum befindet sich in Halle 4.

Während der gesamten Messe werden Sie auf Medienbühnen verschiedener Organisationen stoßen wie Deutschlandradio, ARD/3Sat/ZDF, Die Zeit, Süddeutsche Zeitung und andere. Diese Bühnen bieten Rundfunkanstalten, Medienunternehmen und anderen Organisationen eine Plattform für Interviews, Podiumsdiskussionen und Präsentationen und sind eine großartige Gelegenheit, eine Vielzahl von Veranstaltungen mit Autor*innen und Branchenexpert*innen zu besuchen. Sie können kommen und gehen, wie Sie möchten, eine Anmeldung ist nicht erforderlich.

Personen sitzen auf einer Bühne und diskutieren

Im Jahr 2021 hatte ich das Glück, am Förderprogramm „Frankfurt International Translators“ teilzunehmen, das ich sehr empfehlen kann. Dieses alle zwei Jahre stattfindende Programm richtet sich an internationale literarische und Sachbuchübersetzer aus dem Deutschen. Die 15 ausgewählten Übersetzer*innen nehmen an einem einwöchigen Programm mit Seminaren, Treffen mit Verlagen und Autor*innen sowie Besuchen von Kultureinrichtungen teil und werden zur offiziellen Eröffnung der Messe eingeladen. Das Programm wird von der Frankfurter Buchmesse organisiert, mit finanzieller Unterstützung des Auswärtigen Amtsund bietet uns Übersetzer*innen eine großartige Gelegenheit, den deutschen Buchmarkt kennenzulernen, sich mit Branchenexpert*innen zu vernetzen und aktiv an der Frankfurter Buchmesse teilzunehmen.

Ein wirklich nützliche und kostenlose Unterstützung ist die Buchmesse-App(Öffnet neues Fenster). Sie bietet umfassende Informationen über Aussteller, Veranstaltungen und Dienstleistungen sowie einen interaktiven Hallenplan. Eine nettes Extra ist der personalisierte Terminplan mit Erinnerungsfunktion und die Matchmaking-Funktion für Fachbesucher*innen.

Falls Sie während Ihres Besuchs Freizeit haben oder abends noch nichts vorhaben, ist mein weiteres persönliches Highlight das Literaturfestival OPEN BOOKS. Es findet an allen fünf Tagen parallel zur Messe statt und bietet ein vielfältiges Programm mit Interviews und Lesungen von deutschen, schweizerischen und österreichischen Autor*innn. Das Festival findet an verschiedenen Orten rund um den Römerberg statt, dem historischen Stadtkern von Frankfurt, und das Beste daran ist, dass es komplett kostenlos ist. Schauen Sie sich einfach das Programm mit rund 100 Veranstaltungen an und nutzen Sie die Gelegenheit, Autor*innen aus nächster Nähe zu erleben.

Die Quintessenz

Ein Besuch der Frankfurter Buchmesse will gut überlegt sein. Anreise und Aufenthalt werden nicht billig sein. Mit sorgfältiger Planung, konkreten Zielen und realistischen Erwartungen kann es jedoch eine lohnendes Unterfangen sein. Damit es geschäftlich Sinn macht, sollten Sie im Voraus Termine vereinbaren. Networking auf gut Glück ist hier eher selten. Aber alles in allem ist die FBF definitiv ein Ziel, auf das es sich lohnt hinzuarbeiten!

 

Alexandra Roesch ist eine zweisprachige, bikulturelle Übersetzerin mit Sitz in Frankfurt am Main. Sie hat elf belletristische Werke und Sachbücher übersetzt, darunter Romane von Hans Fallada, Seraina Kobler, Stefanie vor Schulte und Merle Kröger (Longlist für den Helen & Kurt Wolff Übersetzerpreis 2018). 

Sie hat einen MA in Übersetzung von der University of Bristol, war eine von zwölf internationalen Übersetzern bei der Sommerakademie 2017 des Literarischen Colloquiums Berlin (LCB) und wurde 2021 für das Förderprogramm 
Frankfurt international translators(Öffnet neues Fenster) ausgewählt.

Ihr Bericht wurde ursprünglich veröffentlicht bei New Books in German https://www.new-books-in-german.com/(Öffnet neues Fenster)